Interview

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Bernward Schneider, 1956 in Harsum bei Hildesheim geboren, studierte Jura und ist seit 1986 als Rechtsanwalt tätig. Er arbeitete in Berlin und lebt heute in Hildesheim. Schneider ist darüber hinaus ein Autor für Kriminalromane und Sachbücher.

In seinem Essay "JFK: Dallas Dealey Plaza" beschreibt der Autor die furchtbaren Ereignisse, die dem Präsidenten zum tödlichen Verhängnis wurden. Für das Kennedy-Infoportal hat sich Herr Schneider bereit erklärt, auf einige Fragen zu seinem Werk näher einzugehen.


Infoportal:
Herr Schneider, was bewegte Sie dazu, sich an dieses Thema zu wagen ?

Schneider:
Ich bin Jahrgang 1956 und die Erinnerung an den Kennedy-Mord gehört zu meinen frühesten Eindrücken. Ich weiß noch, wie entsetzt meine Eltern waren, als sie mir am Morgen des 23. November davon berichteten. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich mit der Politik und der Weltgeschichte in Berührung kam, und in späteren Jahren habe ich dann viele der deutschsprachigen Bücher zum Thema gelesen. Als meine Eltern im Juni 2013 binnen einer Woche verstarben und ich kurz darauf einen Hinweis auf den 50. Jahrestag des Attentats im November las, erinnerte ich mich wieder an die Reaktion meiner Eltern, - und da wir zur selben Zeit in unserem Hildesheimer Literaturverein für den Spätherbst des Jahres die Herausgabe einer Anthologie mit Kurzgeschichten oder Kurztexten planten, äußerte ich beim Vereinstreffen spontan, dass ich ein Essay zur Erinnerung an das Kennedy-Attentat schreiben würde. Nachdem ich den 12-seitigen Essay fertiggestellt hatte, merkte ich, dass ich mit dem Thema noch nicht fertig war. Da ich praktisch ständig an einem Kriminalroman schreibe und an Abgabetermine gebunden bin, hatte ich aber erst Anfang dieses Jahres wieder für Neues Luft. Das Kennedy-Thema drängte sich sogleich wieder an mich heran, und so schrieb ich das Buch.
 
Ich bin kein Kennedy-Experte, und war auch noch nie in Dallas. Mir ging es in erster Linie darum, die Ereignisse dieses 22. November dem Leser wieder ins Gedächtnis zu rufen, und hatte dabei den Gedanken, das Thema vielleicht auch für jüngere Leser interessant zu machen. Ich war nie ein Anhänger einer bestimmten Theorie zum Kennedy-Mord, merkte aber beim Schreiben, dass ich zu dem Punkt Stellung beziehen muss.


Infoportal:
Ihr Werk erscheint mir ein wenig wie ein Eintopf, in dem die Zutaten aus einer Mixtur verschiedener Theorien unterschiedlicher Autoren bestehen. Ihre Autorenliste enthält dabei auch sehr "fragwürdige" Personen, wie den Deutschen Mathias Bröckers. Inwieweit ist Ihr fertiger Eintopf nun nach Ihrem persönlichen Geschmack geraten? Will heißen: spiegelt dieses Buch in vollem Umfang Ihre persönliche Meinung wieder ?

Schneider:
Das Buch gibt ausschließlich meine persönliche Meinung wieder. Sicher mag der ein oder andere Autor auf der Autorenliste fragwürdig sein, aber ich übernehme ja nicht deren Meinung, sondern zitiere sie nur. Der "Eintopf" beruht also vollständig auf meinem persönlichen Geschmack. Wobei Geschmack nicht das richtige Wort ist, da ich den Hintergrund des Mordes nicht so dargestellt habe, wie ich ihn etwa gern hätte, sondern so, wie er mir allein plausibel erscheint.  
 
Wäre die Alleintäterthese plausibel, hätte ich sie wohl anderen Theorien vorgezogen, (wobei natürlich auch dann, wenn Oswald der Alleinschütze gewesen wäre, die Existenz eines Verschwörungshintergrunds nicht auszuschließen ist; doch bliebe dies Spekulation.) Immer wieder habe ich mich gefragt, ob es Oswald nicht doch allein gewesen sein könnte, aber es spricht zu viel dagegen; "es passt bei ihm einfach hinten und vorne nicht." Ich kenne auch kein einziges Buch, das die Alleintäterschaft Oswalds plausibel und nachvollziehbar darzustellen vermag.


Infoportal:
Auf Seite 24/25 schreiben sie über ein Zusammentreffen Rubys mit Frank Sturgis am Vortage des Attentats. Als Zeitrahmen schreiben Sie vom "frühen Abend". Ich kann durchaus nachvollziehen, dass man bei der Auslegung bestimmter Vorgänge, welche im Warren-Bericht beschrieben werden, unterschiedlicher Meinung sein kann. Auch in den Fragen, inwieweit bestimmten Punkten nachgegangen wurde. Aber einige Daten erscheinen doch eher unstrittig. Dazu gehört meiner Meinung auch, dass die Bewegungen Rubys ab ca. 15 Uhr dieses Tages rekonstruiert wurden. Ein Termin in einem Motel am frühen Abend passt da nicht hinein.

Schneider:
Die Angaben  über ein Zusammentreffen Jack Rubys mit Frank Sturgis am Vortag des Attentats beruhen auf der Aussage von Marita Lorenz, die sie vor einem Gericht in Miami mehr als 20 Jahre nach dem Attentat machte. Sie hat diese Aussage über die Begegnung mit Ruby auf Befragen vor Gericht wörtlich gemacht: "Früher Abend. 21. November 1963." (Lane, Warum musste JFK sterben?, S. 397 der Econ-Taschenbuchausgabe). Die Aussage von Lorenz war bei der Erstellung des Warren Reports nicht bekannt. Wäre sie bekannt gewesen, hätte der Report die Bewegungen Rubys am 21.11.63 ab 15 Uhr vielleicht anders festgestellt oder beurteilt. Mir sind zu den Bewegungen Rubys nur die Angaben im Warren Report (Sammelband) bekannt, die lediglich eine Aufzählung enthalten, die aber nicht sonderlich aufschlussreich ist. Andererseits ist natürlich auch die Aussage von Marita Lorenz nicht über jeden Zweifel erhaben, worauf ich auch in meinem Buch hinweise. Die Begegnung im Motel könnte vor 15 Uhr stattgefunden haben oder schon am Mittwochabend, Zeugen irren leicht in solchen Punkten, oder aber  – was auch nicht auszuschließen ist – Marita Lorenz irrte sich über die Person und es war gar nicht Ruby, den Sturgis und sie in dem Motel getroffen haben, sondern jemand anderes, den sie später irrtümlich für Ruby hielt. Wenn man einmal unterstellt, dass es nicht Ruby war, den Lorenz in dem Motel gesehen hat, wäre damit ein Indiz für Rubys – wissentliche oder unwissentliche - Beteiligung bei der Vorbereitung des Attentats weggefallen, mehr allerdings auch nicht. Rubys wesentliche Verbindung zu dem Attentat resultiert nach meiner Ansicht nicht aus einem Zusammentreffen mit Sturgis am Vorabend des Attentats,  sondern daraus, dass Ruby aufgrund seiner Eigenschaft als Eigentümer des Nachtlokals Carousel Hintergrundwissen über die Attentatspläne besessen haben könnte, und er daher wohl nicht als Auftragsmörder Oswald erschoss, sondern weil er selbst zu viel wusste und um sein Leben fürchtete.

Infoportal:
Können Sie auf den letzten Satz nochmal etwas näher eingehen ?

Schneider:
Ich glaube nicht an eine groß angelegte Verschwörung von CIA, Secret Service, FBI und Teilen der Regierung, aber ich halte, wie schon gesagt, auch die Alleintätertheorie nicht für überzeugend. Die Kenntnis von Jack Rubys Motiv für den Mord an Oswald hätte einen Schlüssel für die Aufklärung des Attentats liefern und Licht in die wirklichen Zusammenhänge bringen können. Rubys Angabe zu seinem Motiv, er habe Jackie Kennedy die Teilnahme an einem Prozess in Dallas ersparen wollen, war "Humbug". Ruby mag sich allerdings erhofft haben, dass seine Tat als Totschlag im Affekt bewertet werden würde, was in Texas eine recht milde Bestrafung nach sich gezogen hätte. Ruby war in den beiden Tagen nach dem Attentat ein von Angst getriebener, fast panisch agierender Mann. Das Motiv für seine Tat könnte darin gelegen haben, dass er sich aufgrund seines Insiderwissens einen Reim auf die Hintergründe des Attentats machen konnte und deshalb um sein Leben fürchtete. Der Autor Hans Habe zeigte 1967 in seinem Buch "Der Tod in Texas" auf, dass einige Spuren der Attentäter in Rubys Bar, das Carousel, führten. Ruby könnte sich nach dem Attentat mit seinem Insiderwissen unerwartet in einer äußerst bedrohlichen Situation wiedergefunden und sich deshalb zum Handeln getrieben gefühlt haben. Selbst wenn bei Ruby paranoide Wesenszüge vorhanden waren, so muss es doch einen realen Hintergrund für seine Tat gegeben haben. Earl Warren hätte die Möglichkeit gehabt, Rubys Motiv in Erfahrung zu bringen, wenn er Ruby aus Texas herausgebracht hätte. Doch Warren tat es nicht, und so wurde eine große Chance vertan, mehr Licht in die Hintergründe des Attentats zu bringen.

Infoportal:
Ihren Gedankenansatz finde ich grundsätzlich sehr interessant, habe aber trotzdem einige Einwände:

Wenn Ruby sich tatsächlich in dem von Ihnen beschriebenen emotionalen Zustand befunden hätte, würde er sich dann tatsächlich noch um besagte Überweisung an seine Mitarbeiterin kümmern, nur vier Minuten bevor er Oswald erschießt ?

Unabhängig davon, wer Oswald gerne hätte beseitigen wollen, hätte dies doch unbedingt direkt nach der Tat machen müssen. Oswald war nun zwei Tage lang ständigen Verhören ausgesetzt. Was immer er zu sagen gehabt hätte, hätte er nun längst auch gesagt haben können. Auch Ruby selbst hatte im Verlauf der letzten zwei Tage mehrfach die Gelegenheit dazu gehabt. Er kam – wie auch auf Fotos zu erkennen – bis auf wenige Meter an Oswald heran. Hier ergaben sich mit Sicherheit Situationen, die keineswegs ungeeigneter waren, als schließlich in der Tiefgarage. Und obwohl Ruby Oswald unbedingt erschießen will, ist er gerade zum Zeitpunkt dessen planmäßiger Überführung nicht anwesend ?

Das angebliche Gedankenspiel Rubys bezüglich der ihn zu erwartenden Strafe oder der Alternativen erscheint mir auch wenig nachvollziehbar. Zunächst habe ich noch nicht ganz verstanden, in welcher persönlichen Zwangslage Ruby denn nun gesteckt haben sollte, die ihn soweit getrieben hätte. Auch wäre ihm mit einer Inhaftierung auch nur bedingt geholfen gewesen, insbesondere dann, wenn er tatsächlich bereits nach wenigen Jahren wieder entlassen worden wäre. Hier wäre – wenn überhaupt – ein Untertauchen schon der bessere Weg gewesen. Und dass die Überlegung bezüglich des Strafmaßes auch irrig ist, zeigt ja wohl das Todesurteil.

Auf Seite 129 stellen Sie noch einen Zusammenhang zwischen der Geldüberweisung und dem Zusammentreffen mit Oswald bei dessen Überführung her. Hier schreiben Sie wörtlich: „[...], als Ruby sich an diesem Morgen gegen 11.00 Uhr zur Dealey Plaza begab, um der Tänzerin das Geld zu überweisen; [...]“ 
Es ist mir dabei nicht ganz schlüssig, was die Dealey Plaza mit dem Büro der Western Union zu tun hat – liegen diese zwei Punkte doch fast 1,5 Km auseinander...?

Schließlich ließ er noch seine geliebte Dackelhündin "Sheba" im Wagen zurück. Auch da habe ich meine Zweifel, ob er das getan hätte, wäre er davon ausgegangen, dass er nicht zurückkehrt. 

Dann zitieren Sie Ruby mit den Worten: "Man hat mir das Herz herausgerissen" (S.124).
Das klingt aber nicht nach jemandem, der nun in Panik ist, sondern nach jemandem, der tief betroffen und verletzt ist. Und entweder war er in das Attentat genug involviert, um darüber Kenntnis zu haben und zu Recht nun in Sorge zu sein. Dann passt das aber nicht zu seiner positiven Bekundungen zu Kennedy. Oder aber, er hat nicht wirklich etwas gewusst – dann war aber auch jede Form von Panik überflüssig. Und schon gar keine Panik, die einem zu solch einer Tat zwingen lassen könnte. 

Rubys Motiv mag vielleicht erst nach der Tat Gestalt angenommen haben. Die Tat selbst könnte eine emotionale Kurzschlusshandlung gewesen sein. Vielleicht auch aus dem Bedürfnis heraus, hier Selbstjustiz üben zu wollen. Um sich schließlich selbst dann gegenüber der Öffentlichkeit, den Medien und der Justiz besser aussehen zu lassen, "veredelte" er sein Motiv dann. Aber das ist natürlich reine Spekulation...

Aber kommen wir zurück zum Attentat auf den Präsidenten. Auf Seite 38 beschreiben Sie zunächst völlig richtig die verkehrstechnische Situation bezüglich der Auffahrt zum Stemmons Freeway. Dann jedoch beenden Sie den Folgeabsatz, in welchem Sie die neue Streckenführung beschreiben, mit der Feststellung: "[...]niemand wusste später, warum". Nach meinem Kenntnisstand wurde bei einer Probefahrt festgestellt, dass es aus besagten Gründen keine Alternative gab. Somit erübrigt sich doch die Frage, warum man nicht auf der Main Street blieb.

Schneider:
Zunächst noch einmal zu Ruby:
 
Ich gehe nicht zwingend davon aus, dass Ruby im Auftrag anderer handelte, als er Oswald erschoss. Gut möglich ist, dass er die Tat aus eigenem Antrieb beging. Ruby befand sich in den zwei Tagen nach dem Attentat in einer auffällig schlechten psychischen Verfassung, was alle, die ihn erlebten, bekundet haben, z. B. auch seine Schwester. Was genau Ruby in Angst versetzte, ist nicht bekannt, sodass ich nur vermuten kann, dass er befürchtete, von Oswald im Hinblick auf eigene Insiderkenntnisse belastet zu werden, wenn dieser versuchte, zum Nachteil Rubys "den Kopf aus der Schlinge zu ziehen". Dass es frühere Gelegenheiten gab, Oswald zu erschießen, weist darauf hin, dass Ruby mit sich gerungen hat, ob er die Tat begehen soll oder nicht. Ich glaube gerade nicht, dass Ruby Oswald unbedingt erschießen wollte, sondern dass er unschlüssig war und es lieber nicht getan hätte. Einen Mord begeht man nicht so leicht, wenn man nicht völlig abgebrüht ist. Dies erklärt auch die verzweifelte Lage, in der Ruby sich befand.
 
Welche Vorstellung Ruby hatte, als er am Sonntag um 11 Uhr in die Stadt (nicht zur Dealey Plaza) fuhr, ist schwer zu sagen. Da er offenbar wusste, dass Oswalds Verlegung um 10 Uhr stattfinden sollte, musste er wohl davon ausgehen, dass es zu spät war, sein Vorhaben auszuführen, – anderseits begab er sich erneut ins Polizeigebäude, nachdem er der Tänzerin das Geld überwiesen hatte, was die Frage aufwirft, warum er es tat, wenn er glaubte, dass Oswald nicht mehr dort sein würde. Möglich ist, dass er durch den Anruf der Tänzerin oder jemand anderen erfahren hatte, dass Oswald noch nicht verlegt worden war, und er sich dann mit eher ungewissen Vorstellungen auf den Weg in die Stadt gemacht hat, was auch die Mitnahme seiner Hündin "Sheba" erklären kann. Auffällig ist, dass keine Protokolle über Oswalds Vernehmung existieren, sodass trotz der mit Oswald durchgeführten Verhöre nichts Belastendes gegen Ruby aktenkundig geworden war.
 
Sicher wusste Ruby während der Geldüberweisung noch nicht, was er anschließend tun würde, aber dass er – ohne einen entsprechenden Plan bereits grundsätzlich gefasst zu haben –, sich in einer emotionalen Kurzschlusshandlung zu seiner Tat entschloss, halte ich für sehr unwahrscheinlich. Rubys Getriebenheit an den zwei zurückliegenden Tagen, seine Aufenthalte im Polizeipräsidium und seine Versuche, sich Oswald zu nähern, weisen darauf hin, dass er einen Grund für seine Tat hatte und nicht erst am Sonntag von einem plötzlichen Impuls übermannt wurde. Möglich ist natürlich, dass er erst bei seinem Eintreffen am Polizeigebäude hörte, dass Oswald Verlegung noch nicht stattgefunden hatte, aber gerade dann ist seine Tat nur erklärlich, wenn er den grundsätzlichen Plan bereits gefasst hatte. Die Mitnahme von "Sheba" ist in diesem Fall kein logisches Problem.
 
Ruby hatte in den beiden Tagen nach dem Attentat auch genug Zeit, daran zu denken, welche Folgen die Tat für ihn haben würde. Er wird die texanische Strafjustiz gekannt haben (Todesstrafe bei Mord, relativ kurze Freiheitsstrafe bei Totschlag im Affekt), sodass reale Aussicht bestand, der Todesstrafe zu entgehen. Seine Rechnung ging nicht auf – oder noch nicht, – denn das Todesurteil wurde aufgehoben, und man weiß nicht, wie im nächsten Prozess, den Ruby nicht mehr erlebte, entschieden worden wäre; ganz zu schweigen von dem Urteil einer evtl. Berufungsinstanz.
 
Zum eigentlichen Attentat:
 
Der Secret Service hat die Fahrtroute gebilligt. Ich bin aber davon ausgegangen, dass man ursprünglich nicht über die Elm Street fahren wollte, weil die scharfe Kurve von der Houston zur Elm den Sicherheitsbestimmungen des Secret Service widersprach. Warum man es trotzdem gemacht hat, anstatt auf der Main Street zu bleiben und einen Umweg zu fahren, der den Sicherheitsbestimmungen entsprochen hätte, ist mir nicht klar. Die eigentliche Autoparade war ja nach dem Unterqueren der Eisenbahnunterführung vorbei, sodass es nur noch darum gehen konnte, zügig zum Trade Mart zu gelangen. Falls es natürlich für die Fahrt von der Dealey Plaza zum Trade Mart keine Streckenalternative gab als die Zufahrt über die Elm, hätten Sie Recht, dann wäre meine Formulierung nicht korrekt. Aber ohnehin konnten die Attentatspläne erst konkrete Gestalt annehmen, als die Fahrtroute feststand und in der Zeitung veröffentlicht worden war. Ich habe nie geglaubt, dass man den Präsidenten quasi über eine Änderung der Streckenführung in eine Falle locken wollte, wie das einige Verschwörungstheoretiker annehmen.


Infoportal:
Oswald nahm seine Tätigkeit im Schulbuchlagerhaus Mitte Oktober auf. Die Planungen für die Fahrtroute durch Dallas begannen jedoch nicht vor dem 04. November. Wie erklären Sie dieses chronologische Problem, wenn Oswald tatsächlich zu seiner Tat angetrieben worden sein soll? Dann müsste es ja schon ein erheblicher Zufall sein, einen potentiellen Schützen an dieser optimalen Position zu haben...

Schneider:
Die Texas-Reise des Präsidenten wurde am 13. September in der Presse bekannt gegeben, die endgültige Fahrtroute durch Dallas am 18. November festgelegt. Wenn es ein Komplott gab, haben die Planungen, einen Scharfschützen von dem Fenster eines Bürohaus aus auf den Präsidenten schießen zu lassen, sicher nicht erst am 18. November begonnen, wenngleich die endgültige Entscheidung für den Standort des Scharfschützen erst einige Tage vor dem Attentat  erfolgt sein wird. Es gibt eine Reihe von Zeugen, die angegeben haben, dass Oswald und Ruby sich kannten und fünf Tage vor dem Attentat mit weiteren Personen im Carousel zusammentrafen. Zufall? Ich weiß nicht. Die Planer des Attentats könnten es verstanden haben, sich Oswalds "zu bedienen", weil er Zugang zu einem geeigneten Standort besaß. Dass Oswald "zu seiner Tat angetrieben wurde", wie Sie sagen, steht ja nicht fest, da ungewiss ist, ob Oswald überhaupt geschossen hat. Es könnte auch jemand anderes mit einem Gewehr am Fenster im sechsten Stock des Schulbuch-Depots gestanden und auf die Autoparade gefeuert haben, während Oswald in der Kantine war.

Infoportal:
Auf Seite 49 wird die Fahrsituation an der Ecke Houston und Elm Street beschrieben. Angeblich sollen sich die Sicherheitsbeamten darüber gewundert haben, dass hier eine Situation bestand, in der die Fahrzeugkolonne fast zum Stillstand gekommen wäre. Eine solche Beschreibung kann ich einfach nicht nachvollziehen - insbesondere nicht durch meine Eindrücke, die ich auch vor Ort gesammelt habe.

Die Houston Street ist mehr als vier Fahrspuren breit, die Elm Street hat deren drei. Beide Fahrbahnen waren frei von Zuschauern und konnten in ganzer Breite genutzt werden. Die Fahrt musste also keineswegs an dieser Stelle mehr verlangsamt werden, als dies z.B. beim Abbiegen von der Main auf die Houston Street oder an anderen Stellen mit mehr Zuschauern im Innenstadtbereich der Fall war. Es ist auf den Videos auch klar zu sehen, dass eine derartige Verlangsamung bis "fast zum Stillstand" nie stattgefunden hat. Gerade im Zusammenhang mit der Erwähung der Routenbestimmung finde ich solche Aussagen oder Formulierungen (die nicht von Ihnen selbst kommen) sehr fragwürdig. Erwecken sie bei mir doch den Eindruck, man wolle hier die Schaffung einer künstlichen Situation für einen Scharfschützen suggerieren. 

Es drängt sich an dieser Stelle aber noch eine weitere Frage auf: für eine perfekte Schussposition wäre der Abschnitt auf der Houston Street ideal gewesen. Auf der Folgeseite wenden Sie ein, dass ein Schütze bei einem solchen "Frontalangriff" die größere Gefahr einer Entdeckung eingegangen wäre. Dies halte ich so jedoch für nicht nachvollziehbar. Im Gegenteil: gehen wir mal davon aus, hinter dem Attentat hätte eine Planung gestanden. So wäre es doch perfekt gewesen, eine Position ein bis zwei Meter vom Fenster nach hinten weg einzunehmen und durch das nur halb geöffnete Fenster zu schießen. Das Ziel wäre auf gerader Linie langsam auf den Schützen zugekommen und somit nicht zu verfehlen gewesen. Niemand der Zuschauer oder der Sicherheitskräfte hätte direkt am Fenster einen Schützen ausmachen können. So aber wurde bei den Schüssen in Richtung Elm Street das Gewehr und sogar der Schütze mehrfach gesehen.  

Es kann natürlich eine Vielzahl von Gründen geben, warum Oswald - wenn er denn der Täter war - selbst nicht in diesem Moment gefeuert hat. Er könnte sich z.B. noch nicht ganz sicher gewesen sein, ob er die Tat wirklich ausführen wollte. Vielleicht war er auch einen Moment abgeschreckt, als er seinem Opfer plötzlich durch die Zielvorrichtung ins Gesicht schaute. Oder aber er fühlte sich durch ein Geräusch im Stockwerk gestört und zögerte daher. All diese Möglichkeiten halte ich jedoch für realistischer, als dass eventuell vorhandene Planer dieses Attentats die Elm Street der Houston Street vorgezogen hätten.

Schneider:
Wenn man die eingezeichnete Fahrtroute auf der Skizze der Dealey Plaza betrachtet, weist der Abzweig Main Street zur Houston einen Winkel von etwa 90 Grad auf, der Abzweig Houston zur Elm aber einen Winkel von deutlich mehr als 90 Grad, was den Sicherheitsbestimmungen widersprach. Ich bin bisher davon ausgegangen, dass es einhellige Ansicht ist, dass die Präsidentenlimousine an der Ecke Houston und Elm stark abbremsen musste (auch Manchester beschreibt das in seinem Buch so). Der Zapruder-Film gibt darüber keinen Aufschluss, denn er zeigt den Abbiegevorgang nicht. Man sieht nur die Motorräder in der Kurve, dann sieht man plötzlich die Präsidentenlimousine in der Elm, sodass es hier einen Schnitt oder ein kurzes Abschalten der Kamera gegeben haben muss. 

Wenn Sie sagen, dass der Eindruck vor Ort der ist, dass man vor der Kurve zur Elm nicht stark abbremsen musste, kann ich dem natürlich nicht widersprechen, da ich nicht vor Ort war. Aber wie stark nun auch immer abgebremst wurde, - mir scheint dieser Punkt nicht der Wichtigste zu sein. Wenn es ein Komplott gab, war der hauptsächliche Grund, weshalb man sich für das Schulbuchlager entschied, der Umstand, dass Oswald – der Sündenbock oder Mittäter, wie man will - dort arbeitete und den Zugang zu dem Gebäude ermöglichte. Es gab an der Fahrtroute sicher eine ganze Reihe von Gebäuden, von wo man die Limousine ins Visier hätte nehmen können, aber es waren ja überall Menschen, sodass man erst einmal unbeobachtet dort hin und dann auch wieder weg kommen musste. 

Abgesehen davon, dass Oswald dort arbeitete, war der Standort Schulbuchlager auch von der Örtlichkeit her ideal, - nicht nur wegen der scharfen Kurve, sondern weil man von dort sowohl in die Houston als auch in die Elm Street schießen konnten, man also 2 Chancen hatte, während es überall sonst nur eine einzige, zeitlich kürzere Vorüberfahrt gab. Und dass der Wagen an der Ecke Houston und Elm wegen der scharfen Kurve langsam fahren würde, und zwar sowohl in der Houston als auch in der Elm Street, war wohl ziemlich klar. 

Warum hat der Schütze - wer immer es war - nicht die erste Chance genutzt, als der Wagen auf der Houston langsam herangefahren kam? Es mögen einer oder mehrere der von Ihnen genannten Gründe eine Rolle gespielt haben, besonders dann, wenn Oswald der Schütze war, aber so richtig glaube ich das trotzdem nicht. Ihr Argument, dass der Schütze auf der Houston Street unbeobachtet ein Stück vom Fenster entfernt aus dem Halbdunkel des Raumes die Limousine ins Visier nehmen konnte, während er sich auf der Elm aus dem Fenster lehnen musste, mag an sich zwar richtig sein,  aber man muss sich doch fragen, was passiert wäre, wenn der Schütze den Präsidenten auf der Houston Street "frontal erwischt" hätte. Wäre der Fahrer Greer dann weitergerast, also auf das Gebäude zu und um die scharfe Kurve herum in die Elm? Das glaube ich eher nicht, zumal es wegen der Kurve auch nicht möglich gewesen wäre, schnell vor den Schüssen zu fliehen. Gut, er hätte vielleicht nach geradeaus oder rechts versuchen können auszuweichen, dafür hätte er aber aus dem Konvoi ausbrechen müssen. sodass mir ein solches "Manöver" auch nicht wahrscheinlich erscheint. Deshalb: Wenn der Schütze geschossen hätte, als sich der Konvoi auf der Houston auf das Schulbuchlagen zu bewegte, hätte er den Konvoi vermutlich mit seinen Schüssen gestoppt!  

Bei Schüssen von vorne an dieser Stelle wäre auch sofort klar gewesen, woher die Schüsse gekommen waren, und der oder die Schützen hätten es weit weniger leicht gehabt, zu entkommen. Wenn aber erst geschossen wurde, als das Präsidentenfahrzeug sich auf der Elm befand, war die Sache keineswegs gleich klar, ganz egal, ob nun noch zusätzlich jemand hinter dem Bretterzaun am Grashügel stand oder nicht. Es sprach daher Manches dafür, auf den Wagen nicht schon in der Houston Street zu schießen. Ein Grund ist auch, dass das Schulbuchlager die Aufmerksamkeit der Zuschauer nicht mehr so stark auf sich zog, als die Limousine die Kurve genommen hatte und auf der Elm das Gebäude passiert hatte. 

Was nun Planung oder Zufall angeht: Muss man sich nicht auch als Anhänger der Einzeltäterthese sagen, dass es ausgesprochen merkwürdig wäre, wenn ausgerechnet an dem Ort der Route, der für einen Scharfschützen am besten geeignet war, jemand arbeitete, der auf den Präsidenten schoss? Zumal jemand, der selbst gar kein richtiges Motiv für eine solche Tat besaß?


Infoportal:
Im weiteren Verlauf zitieren Sie Lane bezüglich der Gedanken, die Gouverneur Connally während der Schüsse durch den Kopf gegangen sein sollen. Im Warren-Bericht ist hiervon nur im Ansatz die Rede. Mal unabhängig davon, ob Connally tatsächlich an "zwei oder drei Leute, die darin verwickelt waren" oder ein "automatisches Gewehr" dachte, so halte ich die Verbreitung solcher Aussagen doch für sehr fragwürdig und unseriös. Das gerade getroffene Opfer eines Attentats kann wohl kaum realistische Angaben solcher Art machen, wenn dies überhaupt geschehen ist. Deren Verbreitung ist jedoch dazu geeignet, dass sich unbedarfte Leser zu früh eine Meinung bilden, die nicht unbedingt den Tatsachen entsprechen muss. Auch hier gilt das Prinzip: Jedwedes Ereignis kann, wenn es nicht richtig interpretiert wird, aus Informationsmangel die Entstehung einer Version auslösen, die mit der Wahrheit überhaupt nichts zu tun hat.

Doch bleiben wir auch gleich bei der "Single-Bullit-Theorie". Die Kritiker dieser Version geben grundsätzlich keine Antwort darauf, von wo denn alternativ jene Kugel gekommen sein soll, die Connally in den Rücken traf. Sie werden auf der Dealey Plaza keine Position finden, die einen solchen Schuss zulassen würde, ohne vorab den Präsidenten zu treffen. Abgesehen davon wurde die Plausibilität in Versuchen aus dem Jahre 2007 eindrucksvoll nachgewiesen - und dies inklusive der Tatsache, dass jene Kugel anschließend fast unversehrt aufgefunden wurde. Dem entgegen müssten sich bezüglich z.B. der Geschoss-Fragmente Hinweise ergeben haben, sollte es sich tatsächlich um mehr als besagte drei Schüsse gehandelt haben. Wäre es nicht ein eher unglaubwürdiger Zufall, dass es diesbezüglich für die angeblich in Mehrzahl anwesenden Schützen keine ballistischen Beweise gibt?

Schneider:
Wenn Connally selbst einige Zeit nach dem Attentat über die Gedanken berichtete, die er hatte, als die Schüsse fielen, muss ich sie auch zitieren. Diese Gedanken werden nicht nur von Lane, sondern auch von anderen Autoren berichtet. Ich habe mich bemüht, nur Tatsachen zu schildern, die unstrittig sind. Es geht mir nicht darum, irgendeine Theorie zu beweisen.
 
Wenn keine Kugel Connally in den Rücken treffen konnte, ohne vorab den Präsidenten zu treffen, würde das für die "Single-Bullit-Theorie" sprechen. Ein Problem mit der Theorie habe ich, weil die Geschossflugbahn - vom sechsten Stock des Schulbuchlagers in Kennedys Rücken, dann den Austritt vorne an der Kehle, danach Eintritt in Connallys Rücken - nur möglich wäre, wenn Kennedy den Kopf geneigt gehalten hätte, was er aber den Filmaufnahmen zufolge nicht tat. Wenn wirklich alle anderen Möglichkeiten ausscheiden, könnte ich trotz aller Bedenken die "Single-Bullit-Theorie" akzeptieren, allerdings beweist diese aus meiner Sicht nicht die "Oswald-Alleintäter-These".


Infoportal:
Sie haben Recht: die Alleintäter-These beweist dies natürlich nicht. Aber es nimmt doch denen den Wind etwas aus den Segeln, die mit einem ggf. notwendigen vierten Schuss eine Mehrschützen-Theorie beweisen wollen. Vielleicht muss man sich auch auf beiden Seiten manchmal in Erinnerung rufen, dass das reine Fehlen eines Beweises selbst noch keinen Beweis für die eine oder andere Version darstellt. 

Wenn Sie nach Ihrer persönlichen Meinung gefragt werden, was halten Sie für den wahrscheinlichsten Ablauf der Vorgänge rein nur an der Dealey Plaza? Also wieviele Personen haben von wo geschossen und welche Schüsse haben wen getroffen?

Schneider:
Ich glaube, dass es im Schulbuchgebäude 1 oder 2 Schützen gab. Von dort kam der erste Schuss, der fehl ging, und ebenso der zweite Schuss, die sog. "magische Kugel". Der dritte, tödliche Schuss kam von vorne, wahrscheinlich vom Grashügel. Der dort verborgene Todesschütze hat wohl nur ein einziges Mal geschossen. Eventuell gab es noch einen zeitlich früheren "vierten" Schuss von einem zweiten Schützen aus dem Schulbuchgebäude, der die Hand- und Oberschenkelverletzung bei Connally verursachte. Für notwendig im Sinne der Mehrtäterfrage erachte ich den "vierten" Schuss aber nicht. Auch wenn es nur die 3 "offiziellen" Schüsse gab, halte ich mindestens 2 Täter für wahrscheinlich, von denen einer von vorne geschossen hat.

Infoportal:
Nach meiner Meinung sprechen folgende Punkte gegen mehrere Schützen und Positionen:

1. Die Zeugen waren zwar nicht alle einig, dass die Schüsse vom Schulbuchlagerhaus kamen, dies iag jedoch meiner Ansicht nach an dem urbanen Umfeld, wodurch es zu entsprechenden Echos kam. Dies würde auch erklären, warum einige Zeugen mehr als drei Schüsse gehört haben wollen. Es sind mir jedoch insbesondere keine Zeugen bekannt, die Schüsse aus beiden Richtungen vernommen haben wollen.

2. Die Untersuchungen aus dem Jahr 2007 insbesondere an den Röntgenbildern des Schädels zeigen bei der Struktur der Rissverteilung klar, dass der Schuss von hinten gekommen sein muss. Auch die Analyse des Zapruder-Films bezüglich der Verteilung von Blut und Gehirnmasse bestätigt dies. Noch deutlicher wird dies jedoch spätestens dann, wenn man sich mal anschaut, was mit dem Kopf tatsächlich passiert wäre, wenn denn der entsprechende Schuss vom Grashügel aus gekommen wäre. Auch dies wurde nachgestellt. Darüber hinaus wäre dies auch eher eine halb-seitliche Schussrichtung, welche den Verletzunge nun garnicht entsprochen hat.  

3. Es konnten weder am Tatort noch am Fahrzeug Fragmente oder Beschädigungen ausgemacht werden, die eine solche Theorie unterstützen würden. 

4. Man muss sich schon mal irgendwann entscheiden, wie denn die verschiedenen Versionen ein ganzes Bild ergeben sollen. Es wird doch immer wieder kolportiert, Oswald sei als Sündenbock aufgebaut worden. Dann kann ich doch aber nicht gleichzeitig von zwei, drei Schützen rumballern lassen. Spätestens dann wäre diese Möglichkeit ja gestorben gewesen. In der Planung kann ja keiner davon ausgehen, dass sich nach der Durchführung der Tat weder durch Zeugen, noch durch Foto- und Filmaufnahmen, noch durch Fragmente und Kugeln, noch durch andere Spuren oder spätestens durch die Autopsie mehrere Schützen zweifelsfrei nachweisen lassen.  

5. Je mehr Schützen, desto größer auch die Gefahr der Entdeckung vor Ort oder später. Die örtlichen Gegebenheiten hätten mehrere Schützen auch garnicht nötig gemacht. Wozu also dieses hohe Risiko unnötig eingehen? Und jeder weitere Schütze ist ja immer auch ein weiterer Mitwisser...

Schneider:
Mir ist nicht bekannt, dass bei einer Untersuchung im Jahr 2007 die Analyse von Röntgenbildern und des Zapruder-Films bewiesen hätte, dass der tödliche Schuss von hinten kam. Gibt es einen Literatur- oder Filmhinweis für diese Untersuchung? Nach meinem Kenntnisstand ist bis heute zwischen den Experten streitig, woher der tödliche Schuss gekommen ist. Die damaligen Autopsieergebnisse des Schädels waren widersprüchlich. Im Bethesda Hospital wurden Veränderungen am Schädel vorgenommen, die es unmöglich machten, das ursprüngliche Verletzungsbild zu verifizieren und zu beurteilen. 
 
Wenn man davon ausgeht, dass die Planung des Attentats auf einem stimmigen Bild beruhen muss, ist es sicher ein Widerspruch, wenn man mehr als einen Attentäter einsetzt, obwohl man nur einen einzigen Sündenbock zur Verfügung hat. Es ist aber nicht so, dass - wie Sie sagen - "man sich irgendwann entscheiden müsse, wie die verschiedenen Versionen ein ganzes Bild ergeben sollen". Es gibt verschiedene Verschwörungstheorien, und nicht diese zusammen müssen ein stimmiges Bild ergeben, sondern nur jede einzelne Theorie muss das für sich hinbekommen. Das gilt auch für die Einzelschützen-Theorie und im Besonderen für die "Oswald-Einzeltäter-Theorie", für die ein schlüssiges Gesamtbild nach wie vor aussteht. 

Ich selbst glaube nicht an die großangelegte Verschwörung, nach der man Oswald über Monate mit verschiedenen Aktionen wie der merkwürdigen Kuba-Reise u. a. systematisch auf seine Sündenbockrolle bei einem Attentat "aufgebaut" hat. Nach meiner Meinung hat man ihn nicht "aufgebaut", sondern seine Stellung im Schulbuchlager "ausgenutzt". Oswald hat sich zwar selbst als Sündenbock bezeichnet; es ist aber nicht bekannt, ob überhaupt - und wenn ja, - welches Sündenbock-Szenario die Attentäter geplant hatten und was davon verwirklicht werden konnte. Im Vordergrund der Planung stand das Attentat, nicht der Sündenbock. In erster Linie kam es den Verschwörern darauf an, dass das Attentat gelang, und um diesen Erfolg sicherzustellen, wird man lieber einen zweiten Mann an der Route einsetzen - sofern man ihn für notwendig hält -, als dass man nur deshalb auf ihn verzichtet, weil man keinen entsprechenden Sündenbock hat.
 
Womit ich nicht sagen will, dass es diesen zweiten Mann oder Schützen zwingend gegeben haben muss. Eines ist natürlich richtig: Je mehr Schützen, umso mehr Mitwisser. Wenn die an dem Komplott Beteiligten nur ein kleiner Personenkreis waren, wäre es aus Sicht dieser Leute gewiss die beste Lösung, einen einzigen Profi-Scharfschützen mit der Durchführung des Attentats zu beauftragen. Man muss allerdings ein ausgezeichneter Schütze sein, um in acht Sekunden dreimal mit einem nach jedem Schuss nachzuladenden Gewehr zu schießen und davon zweimal ein bewegliches Ziel zu treffen. Dass man mit einer Waffe umgehen und leidlich schießen kann, reicht dafür nicht aus, wie auch immer die örtlichen Gegebenheiten beschaffen sind. 
 
Wenn entgegen meiner bisherigen Annahme tatsächlich bewiesen werden kann, dass der tödliche Schuss von hinten kam, würde dies dafür sprechen, dass es nur einen einzigen professionellen Scharfschützen gab. Dass es sich bei dieser Person um Lee Harvey Oswald gehandelt hat, ist aber sehr unwahrscheinlich.


Infoportal:
Die N24 Dokumentation "Die Kennedy-Verschwörung - Tatort Dallas" aus dem Jahr 2013 fasst die aktuellesten Untersuchungen optimal zusammen. Ich habe sie auf Festplatte und leider keinen funktionierenden Link im Netz gefunden. Ich halte sie insgesamt für extrem schlüssig und nachvollziehbar.
U.a. werden die Untersuchungen einer Gruppe von Pathologen der Universität Boston vorgestellt. Ihr Leiter, Peter Cummings, erhielt von der Kennedy-Familie den Zugang zum Nationalarchiv mit den Kleidungsstücken, Röntgenaufnahmen, Aufnahmen der Schädelfragmente und anderen Beweisstücken. Nicht er allein, sondern ein ganzes Team ist daraufhin zu dem eindeutigen Ergebnis gekommen, dass nicht nur der Schuss von hinten als ziemlich sicher anzusehen ist, sondern darüber hinaus auch ein Schuss aus Richtung des Grashügels aus einer Vielzahl von Gründen absolut auszuschließen ist. 
So scheint es durch die Bestätigung verschiedener Quellen u.a. als unstrittig zu gelten, dass nur die rechte Hälfte von Kennedys Gehirn beschädigt war. Dies wäre bei einem Schuss vom Grashügel aus jedoch nicht möglich gewesen. Weiterhin lässt auch die Struktur der Risse, welche sich über den ganzen Schädel ziehen, nur auf einen Schuss von hinten schließen. 

Auch ich meinte es bezüglich der verschiedenen Theorien so, dass diese natürlich nur einzeln für sich genommen ein schlüssiges Bild abgeben müssen. Aber genau hier sehe ich auch das Problem: mal konzentriert man sich auf Oswald, mal auf Ruby - mal auf die Vorgänge auf der Dealey Plaza, mal auf die Umstände des Mordes an Tippit und mal auf Rubys Tat. Ein ganzes Bild ergibt es jedoch erst, wenn es mir auch gelingt, all diese Punkte schlüssig zusammenzufügen. Und hier scheitern in meinen Augen die Verschwörungstheorien immer wieder aufs Neue. Und spätestens, wenn es darum geht, auch alle technischen Abläufe auf der Dealey Plaza damit in Einklang zu bringen, bleibt die Logik immer wieder auf der Strecke oder werden faktische Gegebenheiten ignoriert oder sogar verfälscht.

Bezüglich des "ausgezeichneten Schützen" möchte ich Ihnen widersprechen. Schon bei ersten Schussversuchen durch Laien kurz nach dem Attentat wurden teilweise sogar bessere Ergebnisse erzielt, und Oswald war schließlich ausgebildeter Scharfschütze. Ich selbst habe an dem Fenster gestanden und war vor Ort darüber erschrocken, wie nah die Distanz von 81 Metern (dritter Schuss) bei einer erhöhten Position in Wirklichkeit ist. Ich selbst würde mir zutrauen, zwei von drei Schüssen zu treffen. Aber davon abgesehen halte ich diesen Punkt eh für reine Spekulation. Denn genauso zufällig, wie vielleicht ein guter Schütze mal zwei von drei einfachen Schüssen durchaus verfehlen könnte, könnte ein schlechter Schütze zufällig zwei von drei eher schwierigen Schüssen treffen. Eine so geringe Anzahl von Schüssen unter diesen Bedingungen lässt in meinen Augen kein seriöses Urteil über die Schießfertigkeiten eines Schützen zu - unabhängig vom Erfolg seiner Schüsse.

Als weitere Frage möchte ich Sie auf Seite 97 Ihres Buches zitieren:
"Nach zwanzigminütiger Fahrt durch Dallas kam man dort an." Gemeint ist die Überführung des toten Präsidenten vom Parkland-Hospital zum Flughafen Love Field. Im Warren-Bericht heißt es dazu: "[...] wurde der Sarg kurz nach 14 Uhr aus dem Krankenhaus gefahren, in ein bereitstehendes Krankenauto geladen und zum Flughafen transportiert. Gegen 14.15 Uhr wurde der Sarg in das Präsidentenflugzeug geladen, was wegen der engen Türöffnung mit einigen Schwierigkeiten verbunden war."
Wir reden hier von einer Strecke von weniger als 3 Meilen in einem Randbezirk von Dallas. Man wollte diese sogar eher zügig hinter sich bringen und fuhr wohl mit zumindest erhöhter Geschwindigkeit. Mich würde daher interessieren, woher diese "zwanzigminütige Fahrt durch Dallas" kommt ?!

Schneider:
Wenn 50 Jahre nach der Tat wirklich bewiesen werden kann, dass der tödliche Schuss von hinten und nicht vom Grashügel kam, wäre das sehr erfreulich; dann würde wenigstens in diesem Punkt Klarheit herrschen. Ich habe die Existenz eines Schützen am Grashügel für wahrscheinlich gehalten, gehe aber in meinem Buch nicht davon aus, dass ein solcher Schütze zwingend existiert haben muss. Mich hat immer sehr erstaunt, wieso man sich von offizieller Seite trotz der vielen Zeugenaussagen, die auf Schüsse vom Grashügel hingewiesen haben, so schnell auf Oswald als den Einzeltäter festlegen und alle anderen Hinweise ignorieren konnte.
 
Was das schlüssige Bild angeht, scheitern daran nach meiner Ansicht nicht nur die Verschwörungstheorien, sondern auch die Einzeltätertheorie. Wenn Sie Recht mit Ihrer Auffassung haben, dass Oswald in der Lage gewesen wäre, die drei Schüsse in acht Minuten abzufeuern und das bewegliche Ziel zu treffen, so gibt es doch andere Punkte, die das schlüssige Bild einer oswaldschen Alleintäterschaft empfindlich stören;  insbesondere das fehlende Motiv und die Frage, ob Oswald sich während der Schüsse überhaupt im sechsten Stock des Schulbuchlagers aufgehalten haben kann.
 
Die Zeitangabe "zwanzig Minuten" bei der Fahrt des Sarges zum Flughafen habe ich von Buchholz übernommen (Buchholz 2008, S. 326). Eine größere Rolle spielt die Dauer der Fahrt aber wohl nicht.
 

Infoportal:
Auf Seite 71 schreiben Sie:
"Als der Wagen die Ecke Eches und North Beckley erreichte, sagte Oswald [...]".

Wahrscheinlich meinten Sie die Neches Street. Diese kreuzt sich jedoch nicht mit der North Beckley Avenue und hat auch nichts mit deren 500er Block zu tun. Ermittlungen hatten ergeben, dass Oswald sich wahrscheinlich zum 700er Block (Ecke Neely Street) hat fahren lassen. Dabei wäre dann das Taxi direkt an seiner Haustür vorbei gefahren und er hätte gut drei Blocks zurücklaufen müssen. Dieses zunächst verwunderlich erscheinende Fahrziel würde in meinen Augen durchaus Sinn machen. Oswald wollte dem Taxifahrer nicht seine genaue Adresse nennen. Also wo soll er sich hinfahren lassen? Und da passt es doch, dass sich seine aktuelle Wohnstraße nicht weit von seiner Unterkunft entfernt mit einer anderen Straße kreuzt, in der er auch schon gewohnt hatte: der Neely Street. Und so hatte er ein Fahrziel, das er kannte und dem Fahrer nennen konnte. Was halten Sie von dieser Theorie?

Schneider:
Ja, das mag schon so oder so ähnlich gewesen sein.
 
Wenn man Oswalds Verhalten nach der Autoparade beurteilen will, bewegt man sich in einem hoch spekulativen Bereich. Da ich es für wahrscheinlich halte, dass Oswald nicht der Schütze war, stellt sich zunächst die Frage, was er um kurz nach halb eins von den Geschehnissen an der Dealey Plaza wusste. Der Polizist Baker war in das Gebäude gestürzt, irgendetwas musste passiert sein, was ihm angeraten sein ließ, das Schulbuchgebäude zu verlassen. Da er zunächst in einen Bus stieg, der aber wegen des inzwischen in der Innenstadt ausgebrochenes Chaos nicht vorankam, nehme ich an, dass Oswald spätestens jetzt von den Schüssen an der Dealey Plaza erfuhr. Es mag der Verdacht in ihm aufgekeimt sein, dass man ihn irgendwie "missbraucht" hatte und er nun sehr vorsichtig sein musste. Dass man sich in einer solchen Situation von einem Taxi nicht direkt an sein eigentliches Fahrtziel bringen lässt, sondern sich lieber irgendwo in der Nähe absetzen lässt, ist dann ganz natürlich. Offenbar hatte Oswald Angst bekommen, weshalb er sich entschlossen hatte, seine Pistole aus der Wohnung zu holen, um sich verteidigen zu können oder weil er sich damit sicherer fühlte.


Infoportal:
Ich muss nochmal auf Oswald zurückkommen, weil hier auch später in Ihrem Buch auf Seite 127 noch einmal auf ihn eingegangen wird. Dort schreiben Sie:

"Auch dann, wenn Oswald vor Gericht gestellt und vom Vorwurf des Präsidentenmorden freigesprochen würde, weil die Indizien für eine Verurteilung nicht ausreichen, hätte dies die wahren Mörder in große Gefahr gebracht. Oswalds Freispruch hätte eine Suche nach den wirklichen Tätern ausgelöst. Der Entschluss der Auftraggeber des Attentats, Oswald zu eliminieren, erschien daher begründet."

Dies ist einer jener Punkte, deren "Logik" ich nicht nachvollziehen kann. Insbesondere dann nicht, wenn ich versuche, mich in die Gedankenwelt jener angeblichen Hintermänner zu versetzen. Nun hatten sie doch Oswald genau da, wo sie ihn hinhaben wollten: als Sündenbock vor dem Pranger. Plötzlich stellt er aber doch eine Gefahr da und muss eliminiert werden. Das muss mir aber doch vorher klar sein und entweder mache ich seine Rolle als Sündenbock entsprechend wasserdicht, oder aber ich schalte ihn gleich aus. Das hätte dann ebenso Bestandteil des Plans sein müssen, wie das eigentliche Attentat. Stattdessen kann Oswald zwei Tage lang verhört werden. Egal, ob irgendwelche Hintermänner sich schützen wollten, oder aber Ruby seine eigene Rolle - dafür war es nun zum einen zu spät. Zum anderen muss ich doch damit rechnen, dass gerade ein Ausschalten Oswalds die Welt aufhorchen lassen und weitere Ermittlungen erst rechtfertigen würden. Damit wäre das Ziel nun komplett verfehlt. 

In die gleiche Unlogik passen auch die Aussagen von Hunt. Er führt u.a. den angeblichen Mord (mittels Flugzeugabsturz) an seiner Frau im Jahre 1972 auf. Neun (!) Jahre nach dem Attentat...??? 

Schneider:
Kann man eine Rolle als Sündenbock wasserdicht machen? Schließlich hat der Sündenbock auch noch ein Wörtchen mitzureden. Wie wahrscheinlich ist es denn, dass die Hintermänner überhaupt jemals erwogen haben, Oswalds Rolle als Sündenbock könne so wasserdicht gemacht werden, dass sie auch in einem aufsehenerregenden Gerichtsprozess gegen ihn - vielleicht über mehrere Instanzen - aufrecht erhalten werden kann? Nein, das glaube ich nicht; so gewieft konnten die Hintermänner nicht sein, so etwas bekommt man kaum jemals hin. So vorhersehbar oder planbar ist das Leben einfach nicht, und das wussten auch die Hintermänner. 
Ihr Zitat aus meinem Buch betrifft einen eher nachgeordneten Aspekt in der "Logik" der Attentäter. An erster Stelle mussten die Hintermänner ein Interesse daran haben, Oswald frühzeitig zu eliminieren, da bin ich ganz Ihrer Meinung, und ich glaube, dass dies auch von Anfang an die Absicht war, aber möglicherweise ist nicht alles so gelaufen wie es ursprünglich geplant gewesen war.
Ich nehme an, dass der ursprüngliche Plan darin bestand, dass Oswald "auf der Flucht erschossen" werden sollte, und zwar von der Polizei. 
Wir betreten hier ein schwieriges Terrain, bei dem man nicht Rubys Verhalten in den zwei Tagen nach dem Attentat isoliert betrachten kann, sondern wo man auch den Mord an dem Polizisten Tippit in den Blick nehmen muss. Beides hängt nach meiner Einschätzung eng miteinander zusammen. Ich muss deshalb, um auf Ihren Einwand einzugehen, weiter ausholen und auch auf den Mord an Tippit zu sprechen kommen.

Das gesamte Geschehen um Tippits Ermordung ist ausgesprochen merkwürdig. 
Es steht zunächst einmal nicht fest, ob es Oswald war, der Tippit tötete. Die Zeugenaussagen sind sehr widersprüchlich. Einige Zeugen glaubten, Oswald wiederzuerkennen, andere beschrieben einen ganz anders aussehenden Täter, wieder andere haben zwei Täter gesehen. Der Ort, wo Tippit starb, lag auch nicht auf dem direkten Weg, den Oswald von seiner Wohnung gehen musste, um zu dem Kino zu gelangen, in dem er festgenommen wurde. Auch tauchen wieder zeitliche Probleme auf (wie schon beim Präsidentenmord), weil man fragen muss, ob Oswald es in der ihm zur Verfügung stehenden Zeit überhaupt schaffen konnte, den Mord an Tippit zu begehen. Er hätte quasi von seiner Wohnung zum Tatort laufen müssen, damit es zeitlich hinkommt.

Aber lassen wir diese Zweifel mal beiseite und nehmen an - oder unterstellen, dass es Oswald war, der Tippit erschoss. Was war dann sein Motiv? Oder anders gefragt: Hatte Oswald auch dann ein Motiv, Tippit zu erschießen, wenn er nicht der Mörder des Präsidenten war?
Die Fragestellung mag auf den ersten Blick absonderlich erscheinen, aber bei genauerem Hinsehen ist es gar nicht so abwegig, sich vorzustellen, dass Oswald zwar nicht auf den Präsidenten schoss, wohl aber auf den Polizisten Tippit. 

Oswald wurde von Hintermännern möglicherweise unter Vorspiegelung falscher Tatsachen nach Oak Cliff "beordert" oder gelockt. Warum aber wurde Tippit von seiner Zentrale nach Oak Cliff geschickt, obwohl gerade nach dem Attentat in der Innenstadt von Dallas das Chaos ausgebrochen war und man jeden Polizisten dort brauchte? Zu diesem Zeitpunkt war der Name Oswald - jedenfalls offiziell - noch überhaupt nicht bekannt. Es gab zu diesem Zeitpunkt schlicht keinen Grund für die Polizei, im ruhigen Vorort Oak Cliff, wo Oswald wohnte, nach den Kennedy-Attentätern zu suchen. Nun wird ja, wie Sie wissen werden, von einigen Verschwörungstheoretikern die Ansicht vertreten, dass Tippit nicht der "unschuldige" Polizist war, der in Ausübung seines Dienstes starb, sondern jemand, der - ähnlich wie Oswald - eine Verbindung zu den Hintermännern des Attentats hatte. Dieser Umstand hat manch einen schon darüber spekulieren lassen, ob es vielleicht kein Zufall war, dass Oswald und Tippit in Oak Cliff aufeinandertrafen, und ob es nicht vielmehr zu der Attentatsplanung gehörte, Tippit (und evtl. noch andere Polizisten) nach Oak Cliff zu schicken, damit sie dort auf Oswald treffen und ihn "auf der Flucht erschießen" konnten. Oswald und Tippit kannten sich aus Jack Rubys Nachtclub, wie einige Zeugen bekundet haben, und Oswald, der inzwischen Verdacht geschöpft haben könnte, dass man ihn in eine Falle gelockt hatte (weshalb er sich seine Pistole holte), könnte diesen Verdacht bestätigt gefunden haben, als Tippits Streifenwagen in Oak Cliff neben ihm stoppte. Aus seiner Sicht hätte Oswald dann in Notwehr gehandelt, als er auf Tippit schoss, weil er denen zuvor kommen wollte, die vorhatten, ihn - den Sündenbock - "auf der Flucht zu erschießen".

Ich will nicht sagen, dass es so gewesen ist, natürlich ist das eine Spekulation, aber es wäre eine mögliche Erklärung. (Falls es nicht Oswald war, der auf Tippit schoss, wäre der Polizist natürlich ein unschuldiges Opfer). Ihrem Argument aber, dass "gerade ein Ausschalten Oswalds die Welt aufhorchen lassen und weitere Ermittlungen erst rechtfertigen würde", muss ich entgegen treten. Wenn nicht Ruby, sondern die Polizei von Dallas Oswald erschossen hätte, wäre dieses Problem gar nicht aufgetaucht.

Erst nachdem der ursprüngliche Plan, Oswald "auf der Flucht zu erschießen", gescheitert war, trat Ruby auf den Plan. Zwei Tage lang versuchte er, an Oswald heranzukommen, der sich nun in Polizeigewahrsam befand. Man sollte ja eigentlich denken, dass es nicht so einfach ist, an einen Menschen heranzukommen, der sich im Polizeigewahrsam befindet, aber besondere Hindernisse scheinen ihm seitens der Polizei von Dallas nicht in den Weg gelegt worden zu sein, denn es gelang Ruby mehrmals, in Oswalds Nähe zu gelangen. Aber Ruby war eben kein eiskalter Killer, und erst am Sonntagmorgen, als es eigentlich schon zu spät war, rang er sich dazu durch, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Man kann sich nicht ganz des Eindrucks erwehren, als hätte die Polizei nur darauf gewartet, dass Ruby zur Tat schritt. Ruby war über den Zeitpunkt von Oswalds Verlegung informiert und niemand hinderte ihn daran, den Keller des Polizeigebäudes zu betreten. Und ist es etwa normal, dass von Oswalds Verhören in den zwei Tagen nach dem Attentat keine schriftlichen Aufzeichnungen existieren?
Kurzum: Der eigentliche Plan der Hintermänner, Oswald zu eliminieren, misslang. Ruby war der Plan B, wobei offen bleiben muss, ob Ruby nun wirklich von den Hintermännern unter Druck gesetzt wurde, Oswald zu erschießen, oder ob Ruby sich selbst zu der Tat getrieben fühlte. Vielleicht war es auch ein Motivationsgemisch, bei dem beide Aspekte eine Rolle spielten.
 
Was Howard Hunt angeht, ist dieser sicher eine zweifelhafte Figur. Dass seine Frau einem Mordanschlag zum Opfer fiel, mag man kaum glauben. Abgesehen von dem Zeitablauf, gibt es sicher einfachere Methoden, einen missliebigen Zeugen auszuschalten als durch einen inszenierten Flugzeugabsturz mit zahlreichen unbeteiligten Toten. Ist aber Hunt wegen dieser Unlogik insgesamt unglaubwürdig? Bekanntlich hat er vor seinem Tod in einer Botschaft an seine Kinder erklärt, in die Vorbereitungen des Attentats involviert gewesen zu sein. Von offizieller Seite wird dieses Geständnis nicht zur Kenntnis genommen. Soll man nun sagen, das Geständnis sei falsch? Wird ein alter Mann im Angesicht des Todes den eigenen Kindern gegenüber erklären, in das Attentat - wenn auch nur am Rande - verwickelt gewesen zu sein, wenn das nicht stimmt? Hunt wurde ja auch früher schon beschuldigt, zu den drei Männern gehört zu haben, die nach dem Attentat auf dem Gelände des Güterbahnhofs hinter der Dealey Plaza kurzzeitig von der Polizei verhaftet wurden. Auch ein Gericht in Miami kam im Jahr 1981 zu der Überzeugung, dass Hunt sich zur Tatzeit in Dallas aufgehalten hat, was dieser selbst damals noch bestritt. Sein Geständnis vor seinem Tod bestätigt nun den früheren Verdacht. Man wird daher heute wohl sagen müssen, dass sich Hunt zur Tatzeit tatsächlich in der Nähe des Tatorts aufgehalten hat.


Infoportal:
Ich kann Ihren "Roten Faden" beim Thema der Rolle von Lee Harvey Oswald inzwischen erkennen und an manchen Punkten auch durchaus nachvollziehen. Doch insgesamt will es mir einfach nicht als glaubhaft erscheinen, dass auf der einen Seite im Vorfeld soviel geplant wurde, während dann doch in der Durchführung sowie auch im Anschluss an das Attentat vieles als willkürlich und zufällig erscheint. Sollte man nicht davon ausgehen, dass die Organisatoren einer solchen Tat zu einer weniger komplizierten und daher auch weniger anfälligen Strategie greifen würden? Auch die Beteiligung solch labiler Persönlichkeiten wie Oswald und Ruby stellen doch eher einen erheblichen Risikofaktor dar. Doch auch in Ihren Ausführen erhält der Leser immer wieder den Eindruck, als wären hier sowohl in Planung, wie auch Durchführung und Vertuschung eine Vielzahl von Personen auf die eine oder andere Weise involviert. Auch erscheint es, als hätte man einige Punkte doch eher dem Zufall überlassen oder zumindest nicht vollständig durchdacht. Viele der Abläufe können so im Vorfeld unmöglich geplant worden sein und andere Punkte machen zumindest wenig Sinn. Allein schon die bloße Existenz eines potentiellen weiteren Schützen ist für mich nicht nachvollziehbar. Dieser musste im Vorfeld davon ausgehen, dass sein Eingreifen nicht unentdeckt bleiben würde und somit von Anfang an nach mehreren Tätern - und vielleicht damit auch Hintermännern - gesucht werden würde. Auch setzte er sich der Gefahr aus, nicht nur vor Ort gesehen, sondern sogar gefilmt zu werden.

Warum nicht einfach einen einzigen guten Schützen mit Zielfernrohr und Schalldämpfer an guter Position irgendwo auf der Strecke positionieren und sich dann ganz leise zurückziehen? Und das ohne auch noch mit Leuten wie Hunt und Bush Senior angeblich vor Ort rumzulaufen und sich dabei direkt vor dem TSBD fotografieren zu lassen.

Dann das Thema Tippit: Oswald hat sich von seiner Unterkunft zum Kino bewegt - war also in unmittelbarer Nähe zum Tatort. Er wurde von vielen Zeugen erkannt, wenn auch nicht von allen. Das ist aber bei Zeugenaussagen meistens so. Er wurde schließlich im Kino mit der Tatwaffe festgenommen. Und bei all dem soll er vielleicht nicht der Täter gewesen sein? Mehr als unwahrscheinlich...

Ich habe vor Ort seinen kompletten Fluchtweg nachgestellt, inklusive Bus- und Taxifahrt. Alle von der Warren-Kommission aufgeführten Zeiten sind für mich plausibel. Für die Strecke zwischen Wohnung und Tatort habe ich knapp zwei Minuten mehr benötigt. Dafür gibt es allerdings mehrere Erklärungen: zunächst bin ich relativ "normal" gegangen, während ich mir schon vorstellen kann, dass Oswald eher hektisch unterwegs war. Dann endet die 10th Street inzwischen an der Patton Avenue, sodass ein minimaler Umweg entsteht. Und schließlich können Fahrzeit des Taxis und die weitere Vorgehensweise Oswald's kaum auf 60 Sekunden genau festgelegt werden. Insoweit sehe ich auch hier die Plausibilität als gegeben. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass sich der Tatort – wie Sie ganz recht bemerkten – nicht auf dem direkten Weg zwischen Wohnung und Kino befindet. Doch kann das Kino wohl kaum als Oswald's geplantes Wegziel angesehen werden. Ich gehe davon aus, dass er zu Hause nur kurz seinen Revolver geholt hat und sich dann schnell wieder von der Wohnung entfernen wollte – dies allerdings eher plan- und ziellos. Und warum hätte er erst irgendwohin "gelockt" werden müssen? Was macht denn für die Hintermänner Oswald's Anwesenheit in jenem Stadtteil, in dem zufällig auch seine Wohnung liegt, vorteilhafter? Was konnten sie denn dort machen, was sie nicht auch an beliebiger anderer Stelle hätten machen können? Ich stimme Ihnen vollkommen zu, dass wir uns hier doch sehr in einem spekulativen Raum bewegen. Ich sehe jedoch auch in keiner anderen Theorie eine mögliche Konkretisierung dieser Spekulationen.

Tippit's ursprünglicher Streifenbezirk war bereits der Stadtteil Oak Cliff. Er wurde also nicht erst von einem anderen Ort dorthin beordert, sondern nur angewiesen, sich zentrumsnah im Stadtteil aufzuhalten. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits rund 15 Minuten seit dem Attentat vergangen und an der Dealey Plaza dürften inzwischen mehr als genug Polizei- und Sicherheitskräfte eingetroffen sein. Es macht doch wirklich Sinn, seine Handlungsfähigkeit nicht durch das Abziehen aller Kräfte aus allen Stadtteilen zu sehr einzuschränken.

Sie haben auch recht, wenn Sie sagen, wenn nicht Ruby, sondern die Polizei von Dallas Oswald erschossen hätte, wäre dieses Problem gar nicht aufgetaucht. Aber bitte: ich plane ein solches Attentat und bin dann nicht in der Lage, meine Zielperson auszuschalten, die einfach aus dem Haupteingang marschiert und direkt nach Hause läuft?

Was die Situation rund um das Polizeirevier betrifft: dies ist für mich einer jener Punkte – wie übrigens mehrere im Zusammenhang mit dem Kennedy-Attentat – wo ich glaube, dass wir einfach zu sehr heutige Maßstäbe ansetzen und uns nicht vorstellen können, dass andere Zeiten und andere Orte auch andere Umstände bedeuten können. Die Situation auf dem Revier war laut Aussagen der Pressevertreter die ganzen zwei Tage über absolut chaotisch und wäre heute undenkbar gewesen. Genauso wäre es heute undenkbar, dass jemand unmittelbar nach dem Attentat noch auf dem Parkplatz des Krankenhauses damit beginnt, das Fahrzeug zu reinigen. Aber so war es damals nun mal. Und so mag sich auch erklären, dass man schlichtweg versäumt hat, die Verhöre aufzuzeichnen. Ruby hatte jedenfalls mehr als eine Gelegenheit, an Oswald heranzukommen. Egal, ob beauftragt oder aus eigener Motivation, erscheint mir ein so langes Zögern als nicht nachvollziehbar. Genauso wenig, wie Ruby's Handlungen unmittelbar vor dem Schuss. Für mich macht tatsächlich nur eine Affekthandlung wirklich Sinn. Seine Handlungen erklären würde aber eher die Tatsache, dass er eben nicht – im Gegensatz zur Presse – über den Zeitraum der Verlegung informiert war, sondern erst durch den Auflauf an der Zufahrt zur Tiefgarage aufmerksam wurde. Hingegen verstehe ich nicht, wen Sie mit "die Polizei" meinen. Warum sollte denn die ganze Polizei von Dallas ein Motiv haben, dass Oswald erschossen wird – und das vor laufenden Kameras?  

In Sachen Howard Hunt tendiere ich doch eher zu der These, dass hier nochmal mit einem Buch Kasse gemacht werden soll. Hunt verwickelte sich mehrfach in Widersprüche, wie auch schon Marita Lorenz. Ich bin zwar wahrlich kein Fan von Wikipedia, aber wenn dort schon als Tatsache ausgewiesen wird, dass Hunt eben nachweislich zur Tatzeit in Washington war, dann darf seine Anwesenheit in Dallas doch zumindest bezweifelt werden, statt dass man Gegenteiliges "heute wohl sagen muss". Hunt wird wohl genauso wenig in Dallas gewesen sein, wie Bush Senior, den man immer wieder auf einem Bild erkannt haben will. Dieser hätte entweder nichts mit dem Attentat zu tun und könnte somit bestätigen, dort gewesen zu sein. Oder aber – wäre er tatsächlich darin verwickelt – würde er sich wohl kaum direkt vor das TSBD stellen und dort von jedem fotografieren lassen.

In Ihrem Buch schreiben Sie später noch über Ruby: "Doch ein neuer Prozess fand nicht mehr statt. […], verstarb Jack Ruby, der sich bis dahin bester Gesundheit erfreut hatte, am 03. Januar 1967 ganz überraschend an Krebs.. Ruby selbst war der Ansicht, dass man ihm Krebszellen injiziert hatte. Wenn das stimmte, war mit Rubys Tod auch die letzte der drei Randfiguren […] einem Verdeckungsmord zum Opfer gefallen."

Entspricht auch dies Ihrer eigenen Ansicht? Zunächst erscheint es mir auch hier vollkommen absurd, warum man damit mehr als drei Jahre warten sollte. Was sollte damit noch vertuscht werden? Mit solchen Andeutungen und fragwürdigen Formulierungen wie "ganz überraschend an Krebs verstorben" verbreitet man doch nur reißerische Nahrung für die Verschwörungstheoretiker, die jeglicher Grundlage entbehrt. Bei einem Arbeitskollegen von mir, der sich auch "bester Gesundheit erfreute", wurde bei einer Routineuntersuchung Krebs diagnostiziert und es wurden ihm noch vier Monate Restlebenszeit angekündigt – er verstarb bereits nach nur acht Wochen.

Schneider:
Wie gesagt hielt ich bisher die Existenz eines zweiten Schützen für wahrscheinlich. Doch wenn sich beweisen lässt, dass alle drei Schüsse von hinten kamen, hat es wahrscheinlich nur einen einzigen professionellen Schützen gegeben. Da stimme ich Ihnen zu. Nur glaube ich eben nicht, dass dieser Schütze Lee Harvey Oswald war. 
 
Hinsichtlich der "wasserdichten" Planung kann ich Ihren Standpunkt nicht so recht nachvollziehen. Auch bei der besten Planung kann etwas schief gehen. Und dass der Sündenbock vielleicht nicht so reagiert, wie man es erwartet hat, lässt sich nie ganz ausschließen. Es ist ja auch zu berücksichtigen, dass der Arbeitsplatz von Oswald bei der Auswahl des Sündenbocks eine Rolle gespielt hat, sodass mir das Argument, man hätte eine labile Persönlichkeit wie Oswald nicht ausgewählt, nicht einleuchtet. Er war ja nicht der Schütze, sondern der Sündenbock - nach meiner Ansicht. Für die Rolle des Sündenbocks wählt man doch wohl eher eine Person mit Schwächen aus. Wenn im Übrigen die Planung wasserdicht gewesen wäre, würden wir über den Kennedy-Mord gar nicht sprechen. Dann würde niemand eine Täterschaft von Oswald in Zweifel ziehen, obwohl er es in Wahrheit nicht war. 
 
Gewiss wären die Planer in der Lage gewesen, die Zielperson Oswald unmittelbar nach dem Attentat bzw. dem Verlassen des Schulbuchlagers auszuschalten, aber wenn dieser "Eliminator" kein Polizist ist, hat man ein Problem, weil damit eine Verschwörung offenkundig würde. Also mussten die Planer schon dafür sorgen, dass der Sündenbock einem Polizisten in die Arme lief. 
 
Zum Thema Tippit kann ich nur ergänzen, dass mir dieser Mord rätselhaft erscheint. Der von mir aufgezeigte Ablauf ist nur eine Möglichkeit, wie es gewesen sein könnte, wenn man für die Abläufe eine einigermaßen plausible Erklärung sucht. Wie es wirklich war, weiß ich nicht, und für mich ist auch offen, ob es Oswald war, der die Schüsse auf Tippit abgegeben hat. Selbst für einen Einzeltäter Oswald macht dieser Mord keinen rechten Sinn und wird nur verständlich, wenn man bei Oswald nach dem Attentat ein völlig chaotisches, amokartiges Agieren unterstellt. 
 
Wenn ich von der Polizei von Dallas spreche, meine ich natürlich nicht die gesamte Polizei von Dallas, sondern einige Polizisten mit Kontakt zu Rubys Carousel-Club, die auch Verbindung zu den Attentatsplanern besaßen. 
 
Weiterhin habe ich große Schwierigkeiten, Ihren Standpunkt hinsichtlich Rubys spontaner Affekthandlung nachzuvollziehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand, der eben noch eine Geldüberweisung ausgeführt hat, nun aus einem spontanen Entschluss heraus ins Polizeigebäude spaziert und den vermeintlichen Attentäter erschießt. So verhält sich einfach niemand. Spontan mag zwar der unmittelbare Entschluss zur Tat gewesen sein; aber selbst diese Spontanität benötigt eine Vorbereitung, und Rubys getriebenes Verhalten in den beiden Tagen nach dem Attentat lässt kaum eine andere Deutung zu als die, dass er den Plan, Oswald zu erschießen, seit dem Freitagabend mit sich herumtrug, wenn er auch zunächst vor der Tatausführung zurückschreckte. Was den Zugang zum Polizeirevier anbelangt, mögen Sie recht haben, dass die heutigen Maßstäbe nicht auf das Jahr 1963 angewendet werden können. Immerhin schien es aber auch die Warren-Kommission gewundert zu haben, dass Ruby so ohne weiteres in den Keller des Polizeigebäudes gelangen konnte.
 
Die Möglichkeit, mit Büchern Kasse zu machen, mag ein Motiv sein, Geschehnisse so hinzubiegen, dass sie reißerisch wirken. Im Fall von Marita Lorenz würde das allerdings bedeuten, dass sie eine völlig falsche Geschichte erfunden haben müsste. Denn außer ihrer Beziehung zu Fidel Castro, die im Grunde gar nicht in diesen Kontext gehört, hätte sie ja sonst keinerlei Verbindung zum Kennedy-Attentat gehabt. Die ganze von ihr geschilderte Fahrt von Miami nach Dallas in den Tagen vor dem Attentat müsste dann eine Erfindung gewesen sein, die sie im Übrigen nicht nur in einem Buch, sondern auch in einem Gerichtsverfahren wider besseres Wissen "durchgezogen" hätte. Also, es fällt mir wirklich nicht leicht, das zu glauben. 
 
Zu Rubys Krebs-Tod ist zu sagen, dass er selbst es war, der die Behauptung aufgestellt hat, ihm seien Krebszellen injiziert worden, und deshalb habe ich es zitiert. Aber auch aus dem Grund, weil man sich fragen könnte, weshalb er eine solche Behauptung von sich gibt, wenn er nicht selbst in einem Verschwörungsdenken befangen war. Aber Sie haben Recht: Mit großer Wahrescheinlichkeit ist das mit den Krebs-Zellen Unsinn, sodass jedenfalls mein resümierender Satz "Wenn das stimmte, war mit Rubys Tod auch die letzte der drei Randfiguren einem Verdeckungsmord zum Opfer gefallen" unpassend ist und daher besser gestrichen werden sollte. 
 
Insgesamt kann ich keine vollständige Verschwörungstheorie aufstellen, und das war auch nicht meine Absicht, sondern ich bringe in meinem Buch meine Ansicht zum Ausdruck, dass die These, wonach Lee Harvey Oswald der Alleintäter des Attentats war, nicht plausibel, wenigstens recht unwahrscheinlich ist. Die Argumentation der Anhänger der Alleintäterthese läuft letztlich immer darauf hinaus, dass erklärt wird, die Verschwörungstheorien könnten nicht richtig sein, also müsse Lee Harvey Oswald der Täter gewesen sein. Dies nennt man einen Zirkelschluss, und ein solcher Zirkelschluss ist unzulässig, da die Unrichtigkeit einer Verschwörungstheorie nicht die Richtigkeit der Alleintäterthese beweist. Sicher hängt es auch mit meinem Juristenberuf zusammen, dass es mir schwer fällt, bei einer so dünnen Beweislage gegen Oswald das Urteil zu fällen, dass er allein den Präsidenten John F. Kennedy und den Polizisten J.D. Tippit erschossen habe.   
 
Ein Problem, auf das ich in diesem Zusammenhang zu sprechen kommen möchte, ist Oswalds Zeitfenster für das Attentat. Carolyn Arnold
1 hat ihn um 12.20 Uhr in der Kantine gesehen. Dort war er auch nach den Schüssen, als um 12.32 Uhr der Hausverwalter Truly und der Polizist Baker in die Kantine stürmten. Er hatte also gerade mal 12 Minuten Zeit, um ins sechste Stockwerk zu stürmen, den Präsidenten zu erschießen und schnell wieder runter in die Kantine zu rennen, damit er dort gesehen wird. Es ist eigentlich kaum zu schaffen. Dazu kam, dass die Autoparade fünf Minuten Verspätung hatte, sodass er um 12.20 Uhr längst oben an seinem Platz hätte sein müssen. Eigentlich war es für ihn schon zu spät, um nach oben zu eilen. Jetzt kann man natürlich wieder sagen, dass sich die Zeugin Carolyn Arnold in der Zeit geirrt haben müsse. Es ist ja beim Kennedy-Mord gang und gäbe, dass Uhrzeiten geringfügig hin und her geschoben werden, damit ein Sachverhalt gerade noch in ein bestimmtes Zeitfenster passt. Das machen nicht nur die Verschwörungstheoretiker, sondern auch die Warren-Kommission. Nun ist das im Falle von Carolyn Arnold aber schwierig, weil Zeugen, die draußen an der Dealey Plaza standen, darunter der Zeuge Rowland, bereits um 12.15 Uhr einen Mann mit einem Gewehr am Fenster im sechsten Stock gesehen haben. Rowland machte die Beobachtung zum selben Zeitpunkt, als im Polizeifunk vermeldet wurde, dass die Präsidentenlimousine die Cedar Springs Road erreicht hatte, und dies war laut Polizeiprotokoll um 12.15 Uhr der Fall. Wenn das alles so ist, kann Oswald nicht der Mann mit dem Gewehr gewesen sein, den die Zeugen am Fenster gesehen haben. Auch ist mir nicht verständlich, weshalb Oswald nach den Schüssen in die Kantine gelaufen sein sollte, wenn er sich ein Alibi verschaffen wollte, denn er konnte ja nicht wissen, dass um 12.32 Uhr andere Personen die Kantine betreten würden.
Ein weiteres Problem ist Oswalds Motiv. Es gibt keinen Mord ohne Motiv. Aus diesem Grund sucht jede Polizei, jede Staatsanwaltschaft, jedes Gericht stets nach dem Motiv. Manchmal, in eher seltenen Fällen, findet man das Motiv nicht. Vorhanden ist es gleichwohl. Auch Mordlust etwa und natürlich Hass können starke Motive sein. In Dallas lebten viele Leute, die den Präsidenten hassten. Diese Personen hatten ein Motiv zum Präsidentenmord – Oswald, der den Präsidenten mochte, hatte ein solches Motiv nicht. Warum hätte Oswald den Präsidenten erschießen sollen? Weil sich seine Ehe in einer Krise befand? Weil er mit seinen 24 Jahren mit seinem beruflichen Fortkommen unzufrieden war? Aus solchen Gründen ermordet man nicht den Präsidenten! Die meisten Morde werden von Einzeltätern begangen, der Grund dafür ist einfach, es handelt sich um Beziehungstaten. Wo diese Beziehung zwischen Täter und Opfer nicht besteht, kommt es nicht zu einem solchen Kapitalverbrechen. Beim politischen Mord sieht es anders aus. Solche Morde werden entweder von geistesgestörten Einzelpersonen begangen oder von Fanatikern, wobei letztere oft Mittäter, Hintermänner usw. haben. War Oswald geistesgestört? Dafür gibt es nicht den geringsten Anhaltspunkt. War er ein Fanatiker? Nein, Oswald war gerade kein Kennedy-Hasser! Zuweilen hört oder liest man, Oswald habe das Attentat begangen, weil er nach Anerkennung gesucht habe. Ja, so etwas gibt es. Doch auf Oswald passt auch das nicht. Das Verhalten von Oswald nach der Tat spricht dagegen. Sieht man die Filmaufnahmen von ihm nach seiner Verhaftung, wirkt er verstört, überrascht über die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen. Er war intelligent und mag ein guter Schauspieler gewesen sein, aber so wie er verhält sich kein Mensch, der nach Anerkennung sucht. Er wäre nicht nach der Tat geflohen, hätte gar auf der Flucht einen Polizisten erschossen, wie man glaubt, wenn er nach Anerkennung gesucht hätte. Ich kann beim besten Willen kein Motiv bei Oswald entdecken.


Infoportal:
Bezüglich der "wasserdichten Planung" haben Sie natürlich recht, dass es eine solche kaum gibt. Ich versuche nur, mir folgendes vorzustellen: da sitzen irgendwelche Verschwörer zusammen und planen den Jahrhundertmord am amtierenden Präsidenten, mitten in einer Großstadt, vor vielen Zeugen und weder in absehbarer Anzahl noch in unter Kontrolle zu bringender Video- und Fotogeräte. Gleichzeitig nehme ich auch noch so viele Unwägbarkeiten in Kauf. Wenn ich Oswald als Sündenbock aufbauen will, unabhängig davon, ob er selbst Schütze ist oder nicht, bedarf auch dies einer gewissen Vorbereitung, bei der ich ihn wenigstens ansatzweise einbeziehen muss. Denn schließlich soll er ja u.a. das Gewehr mit ins TSBD bringen. Ich muss auch irgendwie kontrollieren, wo er sich eigentlich aufhält. Was wäre denn gewesen, wenn Oswald einfach mit verschiedenen Kollegen zusammen vor der Tür oder an einem der Fenster gestanden hätte? Oder sein Alibi in sonstiger Weise wasserdicht gewesen wäre? Dann wäre aber schnell Schluss mit "Sündenbock"...
In diesem Zusammenhang bin ich auch noch über einen Satz auf Seite 135 gestolpert: "Das Interesse der Attentatsplaner, den Kreis der Mitwisser klein zu halten und das Wissen jedes Mitwirkenden auf das unbedingt Notwendige zu beschränken, hatte es möglich gemacht, dass weder Ruby noch Oswald sichere Kenntnis davon besessen hatten, dass ein Mordanschlag auf den Präsidenten bevorstand." Oswald kann also mit einem Gewehr in einer Tüte an seinen Arbeitsplatz gelockt werden, der sich zufällig auf der Route des Präsidenten befindet, welcher wiederum zufällig an genau diesem Tag dort vorbeikommt. Und Oswald schöpft keinen Verdacht – wenn er denn schon nicht selbst der Schütze war – dass hier ein Attentat geplant sein könnte? Habe ich das so richtig verstanden?  Und Ruby ist am Rande in irgendetwas verwickelt oder hat vielleicht unbeabsichtigt mitbekommen, dass etwas geplant ist – und das unmittelbar vor der Ankunft des Präsidenten in Dallas. Und auch er hat keine Ahnung oder keinen Verdacht, was da vor sich gehen könnte? Ich weiß nicht... 

Das Motiv: in der Tat immer wieder eine der Kardinalfragen. Ich persönlich vernachlässige das Motiv auch in anderen Fällen gerne etwas. Denn es ist oftmals nicht wirklich greifbar, selbst wenn es keinen Zweifel an der Schuld gibt. Wir können den Menschen letztlich immer nur bis vor die Stirn schauen und was für eine Person mit gesundem Menschenverstand niemals als Motiv erkennbar sein mag, kann eine andere Person zum Mörder werden lassen. Was sollte Oswald für ein Motiv gehabt haben, Nixon zu töten? Und doch hatte er dies seiner Frau gegenüber wohl angekündigt. Vielleicht ging es auch gar nicht um Kennedy, sondern vielleicht war tatsächlich Connally das Ziel und es ging ihm in seinen wirren Gedankengängen um seine Entlassung aus dem Militärdienst. Der Attentäter von Ronald Reagan wollte eine Schauspielerin mit seiner Tat beeindrucken – wohl auch kaum nachvollziehbar. Und auch, wenn wir Oswald mit rauchendem Gewehr in der Hand angetroffen hätten, würden sich genügend Menschen finden lassen, die eine andere, tiefere Wahrheit hinter einer so großen Tat sehen wollen. 

Oswald's Verhalten nach der Tat mag tatsächlich völlig "chaotisch" gewesen sein, befand er sich doch selbst nun in einer ebenso chaotischen Situation. Seine Schüsse auf Tippit – so er es denn war – würde ich jedoch nicht als "amokartig", als eher "panisch" bezeichnen.

Mit Ruby kommen wir wohl nicht auf einen Nenner: SIE können sich nicht vorstellen, dass jemand, der eben noch eine Geldüberweisung ausgeführt hat, nun aus einem spontanen Entschluss heraus ins Polizeigebäude spaziert und den vermeintlichen Attentäter erschießt. Und ICH kann mir umgekehrt nicht vorstellen, dass jemand, der sich geplant auf den Weg macht, mit einem Mord vor laufenden Kameras sein ganzes Leben zu verändern, vorab noch eine profane Überweisung von 25$ erledigt. Zumal zu einem Zeitpunkt, an dem seine geplante Tat eigentlich gar nicht mehr möglich gewesen wäre. Es mag durchaus möglich sein, dass er die Idee schon etwas länger hatte und auch auf dem Polizeirevier mit dem Gedanken gespielt hatte. Jedoch nicht aus einer solchen Motivlage heraus, dass er sich dazu gezwungen sah. Egal, ob von Seiten dritter oder nur durch sich selbst. In diesem Fall hätte er früher gehandelt.

Die Möglichkeit seines Auftauchens im Keller des Reviers mag die Kommission ja "gewundert" haben, doch war es doch in den zwei Tagen davor nichts anderes. Absolut jeder konnte in den Gängen des Reviers herumlaufen und z.B. an einer Pressekonferenz teilnehmen. Und am Tattag im Keller war die Situation genauso. Man mag sich ja über die Gesamtsituation in diesen rund 48 Stunden wundern, aber dann wohl kaum noch über die Tatsache, dass Ruby ungehindert die Auffahrt hinuntergehen konnte.

Ich habe mich mit der Person Marita Lorenz nicht ganz so genau beschäftigt. Es scheint jedoch inzwischen Einigkeit darüber zu bestehen, dass weite Teile ihrer Aussagen so nicht den Tatsachen entsprechen können.

Selbstverständlich ist ein solcher Zirkelschluss unzulässig – jedoch gilt das in beide Richtungen. Verschwörungstheoretiker argumentieren genauso, die Version der Warren-Kommission könne nicht richtig sein, weswegen es also eine Verschwörung gegeben haben muss. Schon das Fehlen eines konkreten Beweises in einem bestimmten Punkt nehmen sie als Beweis für das Gegenteil. Nicht jede Tat und nicht jeder Vorgang lässt sich immer bis ins kleinste Detail ohne jeden berechtigten Zweifel beweisen. So kann ich natürlich endlos und immer wieder alles hinterfragen und nach Alternativen suchen. Die Zeitung DIE WELT schreibt dazu in ihrer Onlineausgabe vom 20.10.2015 sehr treffend: " [...]Drittens schließlich verlangen Menschen gerade bei spektakulären Kriminalfällen, bei Katastrophen oder eben bei Attentaten "vollständige Aufklärung". Die kann es aber gar nicht geben. Sie akzeptieren keine Erklärung, bei der einzelne Details offen bleiben oder widersprüchlich erscheinen. Dies ist der Boden, auf dem Verschwörungstheorien gedeihen."

Auch der Berliner Geschichtsprofessor Knud Krakau schreibt dazu: "Die Historiographie und seriöse Publizistik neigen im Ergebnis dazu, die Alleintäterschaft Oswalds anzunehmen – und sei es auch nur, weil alle Alternativen noch weniger überzeugen."

Für mich persönlich gilt zumindest inzwischen als Tatsache, dass es keinen wissenschaftlichen Grund mehr gibt, sowohl an der "Single-Bullit-Theorie" als auch an der Alleintäterschaft Oswalds zu zweifeln.

Die Aussage von Carolyn Arnold ist mir in dieser Art nicht bekannt. In ihrer offiziellen Aussage vom 18.03.1964 ist davon keine Rede und im Abschlussbericht der Warren-Kommission wird sie daher auch nicht benannt. Dort heißt es hingegen, dass der Arbeiter Charles Givens um 11:55 Uhr wohl die letzte Person war, die Oswald vor den Schüssen gesehen hat. Dabei verneinte Oswald ausdrückliche die Frage, ob er auch gleich runter gehen wolle. Und weiter heißt es: "Von keinem Arbeiter der Depository ist bekannt, daß er Oswald vor dem Attentat noch einmal gesehen hat."  Der Zeitablauf nach den Schüssen wurde hinlänglich rekonstruiert und gilt wohl als plausibel.

Schneider:
Ohne eine gewisse Mitwirkung kann der Sündenbock seine Rolle selbstverständlich nicht spielen. Trotzdem stellt sich die Frage, was er gewusst haben muss. Das von Ihnen in Bezug genommene Zitat auf S. 135 ist durchaus ernst gemeint. Die Täuschung eines solchen Menschen ist meist perfide und macht sich Lebenssachverhalte zunutze, die dem Getäuschten nicht nur unverfänglich, sondern ihm die Übernahme der (geheimen) Sündenbock-Rolle sogar als unungänglich oder erstrebenswert erscheinen lassen. Z. B. appelliert man an das patriotische Pflichtgefühl.
 
Um ein solches Beispiel einmal zu probieren, könnte ein Hintermann oder Verbindungsmann etwa Folgendes zu Oswald gesagt haben: "Hören Sie, Oswald! Wie Sie wissen kommt am Freitag der Präsident in die Stadt. Die Fahrtroute seines Konvois wird über die Dealey Plaza führen. Es liegen uns Berichte vor, dass ein Attentat geplant ist. Wir müssen die gesamte Fahrtroute überwachen. Sie als Geheimdienstmitarbeiter sind mit dafür verantwortlich, dass nichts passiert. Sie haben ein Gewehr. Bringen Sie es am Freitagmorgen mit zur Arbeit, natürlich so, dass es keiner sieht. Man weiß schließlich nie, wie es kommt. Um die Mittagszeit werden Sie möglicherweise einem unserer Leute heimlich den Zutritt ins sechste Stockwerk verschaffen müssen. Von dort oben hat man die gesamte Plaza gut im Blick, deshalb kann das notwendig werden. Das dürfte ja wohl für Sie keine Schwierigkeit sein. Usw."
 
Es ist nur ein Beispiel, und wir müssen das nicht tiefer ergründen. Mir ist schon klar, dass sich das ein oder andere dagegen einwenden lässt. Was ich sagen will, ist nur, dass es durchaus Cover-Storys gibt, von denen sich auch intelligente Menschen täuschen lassen, labile Personen sicher noch eher, und ich betrachte es durchaus als eine reale Möglichkeit, dass sowohl Oswald als auch Ruby Opfer einer solchen Cover-Story geworden sind.
 
Ich stimme Ihnen zu, dass sich nicht immer jeder Vorgang bis ins kleinste Detail ohne jeden berechtigten Zweifel beweisen lässt. Es ist ein bekanntes Phänomen, dass umso tiefer man forscht, umso mehr Merkwürdigkeiten auftauchen. Wenn ein Sachverhalt im Großen und Ganzen stimmig ist, würde ich auch nicht nach Ungereimtheiten suchen, wie man sie häufig finden wird, wenn man danach sucht. Ist der Hergang eines Verbrechens plausibel, hat es sich vermutlich auch so ereignet, und ohne Anhaltspunkte für einen anderen Hergang, der sich theoretisch fast immer konstruieren lässt, ist es abwegig, eine andere Version zu behaupten. Aber das setzt eben voraus, dass der Sachverhalt im Großen und Ganzen klar ist, und ein solcher Fall ist der Kennedy-Mord nicht.
 
Die Angabe im Warren-Bericht, dass der Arbeiter Charles Givens um 11:55 Uhr die letzte Person war, die Oswald vor den Schüssen gesehen hat, dürfte falsch sein. Um 12.15 Uhr wurde Oswald am Telefon im Erdgeschoss gesehen, um 12.20 Uhr von Carolyn Arnold in der Kantine. Wegen der Aussage von Carolyn Arnold und dem Zeitfenster für Oswald kann ich auf Summers, "Die Wahrheit über den Kennedy-Mord", S. 94, 95 verweisen. 
 
Unabhängig von den vielen Ungereimtheiten rund um das Attentat, fällt es mir schwer, an eine Täterschaft Oswalds zu glauben. Wenn ich ihn so betrachte, sein Verhalten nach der Festnahme, seine von früher überlieferten Äußerungen, die Fernsehinterviews, die es schon aus der Zeit vor dem Attentat mit ihm gab - ich habe immer das Gefühl: Er war es nicht.  Er wurde hereingelegt, er ist ein Opfer.
 
Ich weiß, auch Intuitionen können täuschen, und vollständig ausschließen kann ich es nicht, dass Oswald der Täter war. Doch der genannte Eindruck und dazu die vielen Ungereimtheiten, Beinahe-Unmöglichkeiten, unvollständigen Ermittlungen und Hinweise auf Manipulationen lassen mich nach wie vor massiv an einer Alleintäterschaft Oswalds zweifeln. 
 
Obwohl ich hoffe, dass noch das eine oder andere Dokument auftauchen könnte, das mehr Klarheit in den Fall bringt, ist es wohl unwahrscheinlich, dass dieses Verbrechen jemals aufgeklärt werden wird. Und so sollte es meiner Meinung nach auch in den Geschichtsbüchern stehen: Als einen ungeklärtes Jahrhundertverbrechen mit weitreichenden, schlimmen Folgen.


Infoportal:
Nun sollen ab 26. Oktober 2017 die restlichen bisher noch nicht zugänglichen Akten der Nationalarchive freigegeben werden. Erwarten Sie neue Erkenntnisse oder wird dies am Stand der Diskussionen eher wenig ändern ?

Schneider:
Noch ist mir nicht gewiss, ob wirklich alle vorhandenen Dokumente im National-Archiv freigegeben werden oder ob nicht doch einzelne Akten aus Gründen der nationalen Sicherheit gesperrt bleiben. Soweit ich weiß, ist allerdings im Moment eine Freigabe aller Unterlagen geplant. Wenn das wirklich geschieht, könnte es schon die eine oder andere neue Erkenntnis geben, die dann auch das Gesamtbild der Ereignisse des 22. November 1963 und der Tage danach beeinflussen kann. Dass man bahnbrechend Neues erfahren wird, ist zwar nicht zu erwarten, aber ich bin trotzdem gespannt und hoffe auf neue Einsichten. Der Streit zwischen den Anhängern der Einzeltäterthese und der Verschwörungstheorien wird wohl auch nach der Veröffentlichung weitergehen, doch mehr Informationen könnten vielleicht insgesamt das Diskussionsniveau anheben.

Infoportal:
Ich denke, wir kommen langsam zum Ende unseres kleinen Gedankenaustausches. Es war wirklich sehr interessant und aufschlussreich. Viele Ihrer Ausführungen sind durchaus nachvollziehbar und ich bewundere es sehr, wie Sie auch in Ihrem Buch offen für Alternativen sind und Ihre Thesen dabei selbst immer wieder in Frage stellen. 

Ich persönlich halte es aus vielerlei Gründen weiterhin eher für wahrscheinlich, dass Oswald tatsächlich der von der Warren-Kommission bestätigte Einzeltäter war. Mir drängen sich dabei die Worte des bekannten Journalisten Dan Rather auf: "Für uns Reporter wäre es DIE Story gewesen, wenn jemand anderes geschossen hätte. Doch alle Recherchen ergaben immer nur das Eine: Oswald war nicht nur ein potentieller, sondern der einzig denkbare Schütze."
Doch vielleicht belehrt mich ja die Zukunft auch eines Besseren und die Öffnung der Unterlagen aus dem Nationalarchiv zeigen einen ganz anderen Hergang auf - es würde mich jedoch überraschen.

Ich möchte mich ausdrücklich für Ihre Ausführungen und Beiträge bedanken und vielleicht veröffentlichen Sie ja in Zukunft noch mal etwas zum gleichen Thema.
Als "Gast" gebührt Ihnen natürlich das "Letzte Wort"...

Schneider:
Auch ich möchte mich ganz herzlich bei Ihnen bedanken, dass Sie mir die Gelegenheit gegeben haben, so ausführlich über mein Buch und meine Auffassungen zum Kennedy-Attentat zu sprechen. Unser Gedankenaustausch hat mich doch das Eine oder Andere in einem neuem Licht sehen lassen, wenngleich auch weiterhin meine Zweifel an einer Oswaldschen Täterschaft überwiegen.   
 
Ich glaube nicht, dass wie Dan Rather meint, da nichts weiter war als Lee Harvey Oswald. Die Ansicht, dass Menschen "gerade bei spektakulären Kriminalfällen keine Erklärung akzeptieren, bei der einzelne Details offen bleiben oder widersprüchlich erscheinen", wie es die von Ihnen zitierte Zeitung Die Welt schreibt, mag einen wahren Kern besitzen, scheint mir auf den Kennedy-Fall aber nicht zu passen. 
 
Es ist doch so: Da kommt der Präsident in eine Stadt, in der es viele - auch einflussreiche Menschen - gibt, die Kennedy wegen der von ihm eingeleiteten Politik hassen. Kennedy wird vorher von Leuten, die Dallas kennen, vor einem Besuch in der Stadt gewarnt und von einigen geradezu beschworen, auf seiner Texas-Reise einen Bogen um Dallas zu machen. Kennedy will nicht kneifen, schlägt die Warnungen in den Wind - und dann passiert es tatsächlich. Er wird in Dallas ermordet. Doch als Täter wird kein Kennedy-Hasser verhaftet, - niemand aus diesen politisch extremen Umfeld der Kennedy-Hasser -, sondern ein etwas skuriler junger Mann, ein "linker Spinner", ein vermeintlicher Kommunist, der gar nichts gegen den Präsidenten hat, und der dann zwei Tage darauf im Gewahrsam der Polizei von Dallas, die schon den Präsidenten nicht beschützen konnte, ermordet wird. 
 
Es ist kein psychologische Notwendigkeit, um das Geschehen zu verarbeiten, wenn so viele Menschen zwischen diesen beiden Tatsachen - dem Untergrund des Hasses in Dallas auf der einen und dem vermeintlichen Kommunisten-Täter auf der anderen Seite - einen Zusammenhang vermuten. Der Verdacht, dass dieser "Täter" auf irgendeine Weise aus dem in Dallas herrschenden Hass hervorgegangen ist, drängt sich geradezu auf. 
 
Gleichwohl ist es nicht meine Sache, eine bestimmte Theorie zu verteidigen. Wenn sich neue Erkenntnisse oder Einsichten ergeben, werden diese das Gesamtbild von dem damailgen Geschehen schärfen oder verbessern, und wenn das dann eine Revision meiner Auffassung erfordern sollte, werde ich dem gewiss nicht ausweichen. Egal, ob man Anhänger der Einzeltäterthese oder einer Verschwörungstheorie ist, gibt es doch zwischen den meisten von uns Autoren von Büchern oder Websiten über Kennedy mehr Verbindendes als Trennendes, nämlich den Wunsch, die Wahrheit über das Attentat zu erfahren, und außerdem das Andenken an John F. Kennedy, der einmal der Hoffnungsträger auf eine bessere Welt gewesen ist, zu bewahren. 


(1 Für diese Person stehen noch keine weiteren Daten im Personenregister zur Verfügung)


Persönliche Homepage des
Kennedy-Sammlers

Peter W. Klages