Meine Meinung

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Einleitung

Ich möchte ihnen an dieser Stelle meine ganz persönliche Meinung zum Kennedy-Attentat darlegen. Die Betonung liegt auf "ganz persönliche Meinung"! Denn Tatsache ist: ich bin weder ein wirklicher Experte in einer der themenrelevanten Wissenschaften, noch bin ich Zeitzeuge oder studierter Historiker. Trotzdem habe ich mir natürlich in den Jahrzehnten, in denen ich mich mit diesem Thema beschäftigte, mehr und mehr eine entsprechende Meinung gebildet. Aber diese kann wohl kaum der Weisheit letzter Schluss sein und schon gar nicht möchte ich hier irgend jemanden entsprechend missionieren. Sollte dies teilweise doch an einigen Stellen so klingen, so bitte ich vorab dies zu entschuldigen.

Einleitend kann ich jedem nur raten, sich erst nach gründlichem Studium unterschiedlicher Quellen langsam eine eigene Meinung zu bilden. Sie werden dabei schnell feststellen, dass fast jede Seite ihre durchaus nachvollziehbaren und logisch klingenden Argumente herauszustellen weiß. Das Problem ist nur: sie können unmöglich alle richtig liegen. Ich möchte sie trotzdem auch über meine eigene Meinung informieren, damit sie bei der weiteren Arbeit mit meiner Homepage und dem Bereich "Attentat" wissen, welche Ideologie ihr zugrunde liegt. Trotzdem habe ich mich stets um Neutralität bemüht, bin mir jedoch nicht sicher, ob mir dies auch immer so gelungen ist.

Anmerken möchte ich an dieser Stelle auch, dass ich den Begriff der "Verschwörungstheoretiker" absolut wertneutral gebrauche. Die Nutzung dieses Begriffes dient in meinen Formulierungen ausschließlich dazu, einen entsprechenden Personenkreis von jenen abzugrenzen, welche von der Alleintäterschaft Oswald's überzeugt sind. Eine skeptische Auseinandersetzung mit bestimmten Ereignissen der Geschichte kann letztlich allen dienen und wird daher auch von mir selbst grundsätzlich ersteinmal positiv bewertet. Dabei darf es jedoch nicht dazu kommen, dass unbestrittene Fakten entweder geleugnet oder gar soweit manipuliert werden, damit sie in ein bestimmtes Szenario passen. Und die Motivation für solche Handlungsweisen ist meistens von kommerzieller Natur.
 
Meinungsbildung

Als ich im Alter von elf(!) Jahren anfing, mich mit diesem Thema zu beschäftigen, war der Warren-Bericht das erste Buch, was ich in die Hände bekam. Und für die nächsten Jahre sollte es auch so etwas wie meine "Bibel" zum Kennedy-Attentat bleiben. Nochmal: ich war elf und wenn eine hochrangig besetzte Kommission nach langer Ermittlungsdauer zu einem Ergebnis kommt, dann war das für mich wie in Stein gemeißelt.

Erst Jahre später hörte ich nach und nach von den vielen Ungereimtheiten. Erste Zweifel kamen auf und spätestens nach "JFK – Tatort Dallas" von Oliver Stone war für mich der Warren-Bericht kaum noch das Papier wert, auf dem er stand. Dies blieb auch für weitere ca. zehn Jahre so.

Anfang dieses Jahrhunderts fing ich erneut an, mich in die reine Attentats-Thematik zu vertiefen. Nun sah die Sache gar nicht mehr so eindeutig aus. Und inzwischen war klar, dass auch Stone’s Werk mit höchster Vorsicht zu genießen ist. Gleiches gilt auch für das Buch von Jim Garrison, auf dem der Film wenigstens in den Grundzügen beruht. Letzterer hatte sich darüber hinaus bereits vor der Uraufführung des Films von dem Projekt distanziert.

In den Jahren 2006/07 kamen nun zwei ganz neue Dokumentationen auf den Markt, welche beide von sich behaupteten, ihre Erkenntnisse aufgrund neuester technischer Spurensuche gewonnen zu haben. Das Interessante dabei: beide Dokumentationen kamen annähernd zu gegensätzlichen Ergebnissen. Es war dabei sehr gut zu erkennen, dass man jedem Argument ein gegenteiliges Argument entgegenstellen konnte und noch immer kann.

Was antworte ich nun heute, wenn mich jemand fragt: Verschwörung oder Einzeltäter?

Nun – einige Zeit habe ich mich tatsächlich dauerhaft von einer konkreten Theorie oder Meinung getrennt und nahm fast jedes Argument objektiv zur Kenntnis. Fast war es wie "Engelchen & Teufelchen", die mir von beiden Seiten meiner Schultern etwas ins Ohr flüsterten.

Auf der einen Seite: "Wenn etwas aussieht, wie eine Ente, quakt, wie eine Ente und dann auch noch watschelt, wie eine Ente, dann ist die Gefahr relativ hoch, dass es sich tatsächlich auch um eine Ente handelt!" Will heißen: zwar kann fast jede einzelne Ungereimtheit bei diesem Thema absolut plausibel wissenschaftlich erklärt werden. Was mich jedoch dabei immer etwas stutzig machte, ist die Menge dieser Ungereimtheiten.

Über 70% der amerikanischen Bevölkerung glauben heute noch, Kennedy sei einer Verschwörung zum Opfer gefallen. Bei einer Umfrage auf meiner Website teilten sogar fast 90% diese Meinung.

Doch auf der anderen Seite steht ein Faktor, der sich als hartnäckigster und wohl auch bedeutendster Feind aller Verschwörungstheorien herausgestellt hat: die Zeit.

In den ersten Jahren nach der Ermordung Kennedy’s waren fast alle Verschwörungstheorien noch durchaus denkbar und die dazugehörigen Argumentationen auch nachvollziehbar. Es gab kaum etwas, dass wirklich gänzlich auszuschließen war und die meisten Menschen dürften wohl davon ausgegangen sein, dass gründliche Ermittlungen die Wahrheit schon ans Licht bringen würden. Ein Irrtum, wie sie nun glauben mögen. Aber dem ist vielleicht nicht ganz so. Und dies möchte ich ihnen in drei Punkten darlegen:

 
Die Zeit
1. Die "Magische Kugel"

Fünfzig Jahre sind für die themenrelevanten Wissenschaften der Forensik wie Ballistik, Rechtsmedizin, Kriminaltechnik sowie weiterführende Bereiche der Akustik, Optik und insbesondere der Computer-Technik ein sehr langer Zeitraum. In einigen Teilbereichen hat es seither Quantensprünge gegeben, welche in den 60er Jahren noch undenkbar gewesen wären.

Dementsprechend waren auch einige Abläufe auf dem ersten Blick undenkbar. Stichwort: die "Magische Kugel". Noch Anfang der 90er Jahre ließ Oliver Stone einfach seinen Protagonisten – verkörpert durch die Hollywood-Legende Kevin Costner – mit einem Zeigestock fuchtelnd und vor der Kulisse eines ehrwürdigen Gerichtssaals den angeblich so unmöglichen Verlauf jener Kugel demonstrieren, welche laut Warren-Kommission Kennedy und Connally gleichsam verletzt haben soll. Als Requisiten reichten ihm zwei einfache Stühle und dazu zwei Statisten, welche darauf Platz genommen hatten. Und innerhalb von gerade einmal einer Minute und vierzehn Sekunden brachte er auch den letzten Zweifler auf seine Seite und der öffentliche Aufschrei war derartig groß, dass in seiner Folge das so genannte "JFK-Gesetz" zur Offenlegung aller Geheimdienstdokumente beschlossen wurde.

Heute ist die Technik jedoch weiter und besagtes Geschoss hat in beiden wichtigen Punkten große Teile seiner "Magie" eingebüßt: Flugbahn und Durchschlagskraft.

Geht man vom heutigen Wissen um die tatsächlichen Sitzpositionen und Bewegungsmustern der verletzten Personen aus und bezieht man auch noch die Tatsache mit ein, dass sich das Präsidentenfahrzeug auf einer abschüssigen Straße befand, so bestreitet jene Kugel keineswegs mehr irgend einen Irrflug, sondern macht genau das, was eine Kugel nun mal macht: sie verfolgt eine gerade Linie vom Ausgangspunkt zum Ziel. Im Übrigen wäre der Einschuss in Connellys Rücken auch garnicht anders erklärbar. Eine Folge seiner tatsächlichen Sitzposition ist es nämlich auch, dass kein Schütze von einer anderen Position aus diese Wunde hätte verursachen können, ohne dabei Kennedy zu treffen. Und das eine Kugel zunächst um den Präsidenten herum geflogen ist, um dann Connelly in den Rücken zu treffen, ist wohl kaum glaubwürdiger.

Bleibt die Frage, ob ihre Durchschlagskraft für ihren angeblichen Weg auch reicht. Und hier kommt nun eine Person ins Spiel, dessen Vorgehensweise in dieser Sache ich sehr hoch einschätze. Zum einen, weil er in meinen Augen sehr ergebnisoffen agierte und auch gegenteilige Theorien ganz bewusst mit einbezog. Zum anderen, weil er all dies sehr wissenschaftlich und professionell anging, was die Ergebnisse kaum angreifbar macht. Und zuletzt auch, weil er nach meinem Kenntnisstand keine Bücher publiziert hatte, mit denen er entsprechend Kasse machte. Dazu sollte man noch wissen, dass er selbst viele Jahre lang von einer "Mehr-Schützen-Theorie" überzeugt war und diese schließlich durch die von ihm selbst initiierten Untersuchungen weitgehend widerlegt sah. Er hielt jedoch insoweit an seiner Meinung fest, als dass er die offiziellen Ergebnisse nicht als vollständige Wahrheit ansah.

Die Rede ist vom ehemaligen Kurator des Sixth Floor Museums in Dallas, Gary Mack, welcher sich auch schon seit 1975 mit dem Kennedy-Attentat auseinander setzte. Er beauftragte das australische Unternehmen Anatomical Surrogate Technologies, welches sich auf die Nachbildung von Körperteilen zum Zwecke von Crash-Tests und eben auch kriminaltechnischen Untersuchungen spezialisiert hat. Die Beschaffenheit dieser Teile ist in ihrer Genauigkeit wie Knochen, Haut, Körperflüssigkeiten bis hin zum Gehirn derart authentisch, dass sie perfekt für den Versuchsaufbau waren. Nun wurden unter den gleichen Bedingungen wie Schusswinkel, Windverhältnisse und Entfernung mit dem gleichen Gewehr die entsprechenden Schüsse abgegeben.

Doch damit nicht genug – anschließend ließ er auch noch die von Verschwörungstheoretikern favorisierten Abläufe nachstellen. Und die Ergebnisse waren absolut verblüffend und selbst für Laien in Ihrer Eindeutigkeit unverkennbar. Dies gilt in meinen Augen auch für die unter Anwendung modernster Hilfsmittel durchgeführten Versuchsaufbauten der weltweit anerkannten Schusswaffenexperten Lucian und Michael G. Haag. Diese hatten sich insbesondere mit allen ballistischen Umständen der "Magischen Kugel" beschäftigt und kamen zu einem eindeutigen Urteil: "Es gibt keinen wissenschaftlich plausiblen Grund, die "Ein-Kugel-Theorie" in Frage zu stellen."

Die Details würden an dieser Stelle zu weit führen, aber seither gilt für mich unter dem Gesichtspunkt heutiger Ermittlungstechniken als relativ erwiesen, dass...
  • ... es drei Schüsse aus dem Schulbuch-Lagerhaus gab,
  • ... alle Verletzungen Folgen dieser drei Schüsse waren,
  • ... Oswald diese Schüsse abgegeben hat und
  • ... es zumindest keine treffenden Schüsse von irgend einer anderen Position aus gab.

Das allein schließt eine Verschwörung – also eine Beteiligung oder Mitwisserschaft von mindestens einer weiteren Person – nicht gänzlich aus, macht sie jedoch relativ unwahrscheinlich, insbesondere unter Einbeziehung der Persönlichkeit von Lee Harvey Oswald.

Mir können hundert Experten sehr überzeugend und unter Anwendung ihres ganzen Fachwissens erläutern, warum etwas garantiert unmöglich ist. Wenn sich dann nur ein Einziger findet, der es mir einfach vormacht, werde ich diesem wohl Glauben schenken müssen. Zumindest dann, wenn ich davon ausgehen kann – und das tue ich in diesem Fall einfach mal – dass es sich hier nicht um eine vorsätzliche Täuschung mit Hilfe von Spezialeffekten handelt. Ähnliche Beispiele finden sich viele in der Geschichte. Als die ersten Eisenbahnen erfunden wurden, warnten die Wissenschaftler, die Züge dürften ja nicht zu schnell fahren! Sie meinten, dass der menschliche Körper Geschwindigkeiten von mehr als 30 km/h einfach nicht aushalten könne. Und das menschliche Gehirn schon gar nicht; Geistesstörungen wären sicherlich die Folge. Bis dann erste mutige Erfinder es einfach ausprobierten und somit alle anderen Experten Lügen straften.

Nach den oben beschriebenen Schussversuchen wurden die beiden Versuchstorsos einem anerkannten Rechtsmediziner zur Untersuchung vorgelegt. Dabei wurde ihm eine "Legende" von einer Schießerei in einem Stadion unterbreitet, dessen genaueren Umstände nun ermittelt werden sollen. Der Mediziner kam nach drei Tagen intensiver Untersuchungen unter Anwendung heutiger moderner wissenschaftlicher Methoden zu dem Ergebnis, es habe sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um zwei Schüsse gehandelt. Daraufhin wurden ihm die Videoaufnahmen des Experiments präsentiert, welche sein Untersuchungsergebnis widerlegten. Dies zeigt doch wohl, wie schnell es in solchen Fällen auch durch die Gutachten hochrangiger Experten durchaus zu Fehlinterpretationen kommen kann.

 
Die Zeit
2. Der Untersuchungsausschuss

Umgekehrt konnte in all den Jahren und trotz eben jener voranschreitender technischer Möglichkeiten zu keinem Zeitpunkt ein Beweis vorgelegt werden, der eine Verschwörungstheorie wirklich untermauert.

Im Gegenteil: nehmen wir das Beispiel vom Untersuchungsausschuss des Repräsentantenhauses aus den Jahren 1976-79. Obwohl er in weiten Teilen den Ausführungen der Warren-Kommission zustimmte, kam er aufgrund eines Gutachtens zu dem Schluss, es habe mit hoher Wahrscheinlichkeit mindestens einen weiteren Schützen gegeben, womit es sich dann eben doch um eine Verschwörung gehandelt haben müsse. Dies bedeutete natürlich "feste Nahrung" für die hungrigen Mägen der Verschwörungstheoretiker.

Was war geschehen? Durch eine technische Fehlfunktion wurden die Geschehnisse rund um den Tatzeitpunkt vom Mikrophon eines Polizeimotorrades an ein Revier weitergegeben und dort aufgezeichnet. Zu hören waren jedoch nicht die Schüsse selbst, sondern nur so genannte "Impulsmuster", welche mit Gewehrschüssen verglichen wurden. Heute wissen wir jedoch, dass dieses Gutachten absolut unbrauchbar war. Inzwischen konnte zweifelsfrei nachgewiesen werden, dass besagte "Impulsmuster" wohl unabhängig von Schussgeräuschen entstehen und auch an Stellen auf dem Band vorhanden sind, als noch gar keine Schüsse auf der Dealey Plaza gefallen waren. Weiterhin stellte sich auch heraus, dass das besagte Motorrad, welches die Aufnahmen gemacht haben soll, zum Zeitpunkt der Schüsse noch gar nicht auf den entsprechenden Positionen gewesen sein konnte. Was also vom Untersuchungsausschuss blieb, war zwar viel Kritik an der Vorgehensweise der Warren-Kommission - insbesondere im Umgang mit dem Beweismaterial - , aber darüber hinaus folgte der Ausschuss den Ergebnissen im Wesentlichen.

 
Die Zeit
3. "Deathbed Confession"

Ein gewisses Mitteilungsbedürfnis liegt in der Natur des Menschen. Spätestens, wenn sich ein Leben seinem natürlichen Ende neigt, möchten die meisten entweder vorab "reinen Tisch" machen, oder zumindest in einem Testament der Nachwelt bestimmte Informationen hinterlassen. Dieses Phänomen ist auch als "Deathbed Confession" bekannt.

Doch auch hier warten wir seit nunmehr über fünfzig Jahren vergebens. Niemand hat in all den Jahren geredet - weder auf dem Sterbebett noch in Form einer Hinterlassenschaft. Und mit "geredet" meine ich keine wilden Anschuldigungen und andere unbewiesene Spekulationen aufgrund angeblicher neuer und bislang natürlich unzugänglicher Beweise. Und darunter zähle ich ausdrücklich auch die wagen und unbewiesenen Andeutungen eines E. Howard Hunt. Auch rede ich nicht von irgendwelchen so genannten Insider, welche mir wieder und wieder auf der Schiene der Motivfrage die "tatsächlichen Hintermänner" präsentieren wollen. Immer wieder heißt es in diesem Zusammenhang, es ginge nicht um die Frage, wer denn letztlich geschossen hat und von wo, sondern wer die Macht und die Mittel hatte, diese Aktion durchzuführen. Dazu sage ich nur: Blödsinn!

Wenn mir heute jemand sagen will, dass die Ergebnisse der Warren-Kommission alle falsch und womöglich sogar manipuliert sind, dann solle er mir bitteschön auch sagen, wie es denn nun tatsächlich war: Wer hat von wo geschossen und welche Beweise gibt es dafür? Und wenn es hier noch zu Aussagen kommen soll, welche von der offiziellen Version abweichen, dann nur von einem echten Beteiligten. Zugegeben: dieses historische Zeitfenster ist noch nicht ganz geschlossen. Gehen wir einmal davon aus, dass ein vermeintlicher weiterer Attentäter kaum jünger als dreißig Jahre alt gewesen sein dürfte, so wäre dieser heute rund achtzig Jahre alt (Stand 2013) und könnte somit durchaus noch am Leben sein. Trotzdem sind fünfzig Jahre für so einen Fall schon eine sehr lange Zeit und die andauernde Stille spricht eben doch eher gegen eine Verschwörung.

Der bekannte amerikanischen Journalist Dan Rather formulierte einmal:
"Für uns Reporter wäre es DIE Story gewesen, wenn jemand anderes geschossen hätte. Doch alle Recherchen ergaben immer nur das Eine: Oswald war nicht nur ein potentieller, sondern der einzig denkbare Schütze."

Und daran hat sich schließlich bis heute nichts geändert. Im Gegenteil: man betrachte sich einfach mal einige der Werke, welche die unterschiedlichsten Verschwörungstheorien zum Inhalt haben. Was fällt mir da immer wieder auf? Egal, welcher Theorie nachgegangen wird und egal, wie plausibel argumentiert und wie nachvollziehbar auch einige Versionen dargestellt werden. Kein Autor verzichtet darauf, seine Theorien mithilfe nachweislich falscher Tatsachen zu untermauern. 

Ein typisches Beispiel ist die alte Geschichte der kurzfristig geänderten Fahrtroute von der Main Street rüber zur Elm Street. Schon im Warren Bericht von 1964 wurde mit diesem Mythos aufgeräumt. Jeder konnte sich von damals bis heute selbst vor Ort ein Bild von der dortigen Verkehrsführung machen. Und spätestens seit Google-StreetView kann sich auch der Letzte in wenigen Sekunden vom eigenen Schreibtisch aus von den Tatsachen überzeugen. Und trotzdem findet sich dieses wirklich lächerliche Thema selbst in den modernsten Veröffentlichungen als angeblicher Beweis für die mächtigen Hintermänner, denen es gelungen sei, auf diese Weise Kennedy den Attentätern auf dem Silbertablett zu servieren. 

Mir persönlich macht das umso deutlicher bewusst, dass offensichtlich niemand bis heute eine plausible Alternative zu den Abläufen rund um das Attentat darlegen konnte. Denn wäre dies jemals der Fall gewesen, so bräuchte sich sein Schöpfer nicht fragwürdiger und dementsprechend leicht widerlegbarer Argumente zu bedienen. Dabei ginge es gar nicht mal um stichhaltige Beweise – das wäre auch zu schön. Aber wenn ich selbst doch der Meinung bin, ich hätte in Sachen Kennedy-Attentat den "Stein der Weisen" entdeckt, warum sollte es mir dann so schwer fallen, entsprechend zu argumentieren und dabei auf alle nachweislich falschen Mythen zu verzichten? Ein gutes Beispiel hierfür bietet der deutsche Autor Michael Hesemann mit seinem Werk "Geheimakte John F. Kennedy". Es zeigt die ganze Funktionsweise und Dynamik von Verschwörungstheorien auf und offenbart die ihnen meist zugrundeliegenden materiellen Motive. Wer genauer wissen möchte, was ich damit meine, sollte sich meine entsprechenden Ausführungen zu dem Buch mal ansehen.

Von den damals Beteiligten ist heute kaum noch jemand am Leben und inzwischen sind in allen Bereichen ganz andere Kräfte am Wirken. Diese haben ihre eigenen Motive für alles, was sie tun oder eben lassen. Und gäbe es jene sogenannten "Beweise" für eine wie auch immer geartete Verschwörung wirklich, so würden sich schon ausreichende Mächte finden, welche für eine Neuschreibung der Geschichte sorgen würden. Sei es aus politischem Kalkül, aus Machtstreben, Geldgier oder tatsächlich sogar Wahrheitsliebe. Doch reine Mutmaßungen, wilde Theorien, haltlose Anschuldigungen und sogar echte Verdachtsmomente reichen hierfür eben nicht aus. Wer also heute behauptet, die Einzeltäter-Theorie sei nachweislich widerlegt oder eine Verschwörung sei sogar bewiesen, der möge doch mal bitte die Definition für den Begriff "Beweis" nachschlagen.
 
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Neben der Zeit gibt es noch einen weiteren wichtigen Faktor, der in seiner Bedeutung leider von vielen unterschätzt wird und den man viel öfter mit einbeziehen sollte: der "gesunde Menschenverstand".
Eine Methode vieler Verschwörungsanhänger besteht darin, den Laien mit enormen Detailwissen an die Wand zu argumentieren. Es wird dann sehr schwer, sich dem zu entziehen und man verliert schnell den Blick für das Ganze aus den Augen. Und genau um diesem Umstand weiß jener Personenkreis sehr genau.

Stellen sie sich vor, ich würde ihnen ein mehrere Quadratmeter großes Gemälde im Louvre zeigen – mit einem Abstand von rund zehn Zentimetern. Sie könnten nun, mit der Nase fast an der Leinwand, das ganze Gemälde abfahren und viele Details erkennen. Doch welches Bild es letztendlich ergibt, sehen sie erst, wenn sie mal ein, zwei Schritte zurücktreten und somit den Blick wieder frei machen für das Ganze.

Darüber hinaus sollte man auch immer mal wieder versuchen, sich in die Gedankenwelt jener zu versetzen, welche angeblich hinter diesem "Jahrhundertverbrechen" stehen sollen. Beachten Sie dabei, dass Sie sich dann im planerischen Stadium befinden und noch keinerlei Ahnung von den tatsächlichen späteren Geschehnissen rund um die Dealey Plaza haben; dass Sie nicht wissen, welche Kugel was trifft und welcher Zeuge was sieht oder eben nicht; dass Sie die Ermittlungsansätze von Polizei, FBI und Warren-Kommission nicht kennen und Ihnen der Name Lee Harvey Oswald vielleicht oder vielleicht auch nicht bekannt ist. Vergessen Sie dabei also einmal alle späteren Spekulationen und versuchen Sie dann mal zu entscheiden, welche Planungen Sie persönlich als "Strippenzieher" vorgenommen hätten, und was Sie aus welchen Gründen so mit Sicherheit eben nicht getan hätten. Sie werden überrascht sein, an wievielen Stellen im Rahmen der unterschiedlichen Theorien Sie nur noch den Kopf schütteln werden.

Ich möchte ihnen auch hier drei Beispiele geben:

 
Der "gesunde Menschenverstand"
1. Oswalds Ermordung


Nehmen wir mal den Zusammenhang um die Ermordung Oswald’s. Da bauen die angeblichen Hintermänner - verschiedener Theorien zufolge - mit Oswald den perfekten Sündenbock auf. Sie arbeiten im Vorfeld sogar angeblich mit Doppelgängern, um Oswald’s Anwesenheit zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten zu beweisen. Und was dann? Sie erschießen ihn angeblich zwei Tage nach dem Attentat durch den Nachtclubbesitzer Jack Ruby. Was soll der Quatsch?
Entweder habe ich tatsächlich den perfekten Sündenbock aufgebaut, für den sich Oswald auch bis zuletzt ausgab, und dieser hat in der Tat von nichts eine Ahnung. Dann wecke ich mit seiner Ermordung doch keine "schlafenden Hunde", sodass alle Welt sofort nach einer Verschwörung aufschreit.
Oder aber Oswald ist tatsächlich Mittäter und Mitwisser. Dann hätte ich mir aber auch die ganze Vorarbeit schenken können, wenn ich ihn hinterher ohnehin liquidieren will. Weiterhin darf ich damit natürlich auch nicht erst zwei Tage warten. Was immer Oswald hätte erzählen können - dafür hatte er nun ausreichend Gelegenheit. Um dies zu vermeiden wäre es also zwingend notwendig gewesen, ihn irgendwo direkt nach dem Attentat abzupassen und zu liquidieren. So aber ergibt es eben keinen Sinn. Außerdem: wenn ich einen Beseitiger schicke, um einen Mitwisser zu beseitigen, wer beseitigt dann den Beseitiger? Und wer den Beseitiger vom Beseitiger …

Sie sehen, worauf das hinaus läuft?

Weiterhin sollte mir jener "gesunde Menschenverstand" in diesem Zusammenhang auch sagen, dass ein Mörder, welcher den planmäßig bereits zu spät kommenden Oswald bei der Überführung ins Bezirksgefängnis erschießen will, wohl kaum noch vier Minuten zuvor - an einem Western-Union-Schalter im ersten Stock zwei Häuser weiter östlich - eine Überweisung vornehmen würde. Das ist Tatsache und passt einfach nicht in das Bild, welches uns jene aufzuzeigen versuchen, die uns Ruby als beauftragten Killer verkaufen wollen. Zumal bereits vorab klar sein musste, dass sich seine Festnahme vor laufenden Kameras kaum vermeiden lassen würde. Somit hätte man einfach nur einen inhaftierten Mitwisser durch einen anderen ausgetauscht.


 
Der "gesunde Menschenverstand"
2. Der zweite Schütze

Ein anderes Beispiel ist der vermeintliche zweite Schütze irgendwo im Bereich des Grashügels bzw. des Bretterzaunes. Vergessen wir einmal für einen kurzen Moment, dass die Untersuchungen unter Gary Mack eindeutig ergeben haben, dass dieser zumindest keinen treffenden Schuss abgegeben haben kann und es eben auch keinerlei entsprechende Projektil- oder Fragmentfunde gab.

So bleibt aber noch ein ganz anderes Problem: zum Zeitpunkt des Attentats war eine nicht geringe Anzahl von Menschen rund um die Dealey Plaza mit Video- und Fotogeräten ausgestattet. Da dieser Bereich viel Platz an beiden Seiten der Straße bietet und auch nicht abgesperrt war, musste damit auch gerechnet werden. Und zwar auch von einem möglichen zweiten Schützen. Er musste sich also bewusst der potentiellen Gefahr aussetzen, von einer Foto- oder gar Filmaufnahme erfasst zu werden. Und dies wäre ja auch fast geschehen, hätte der Zufall hier nicht mit gnadenloser Härte zugeschlagen. Auf der einen Seite war Orville Nix, welcher einen falschen Film für Innenaufnahmen verwendete ohne einen entsprechenden Filter zu benutzen und somit den Film unterbelichtete. Der Bereich um den Bretterzaun lag somit im Dunkeln. Überarbeitete Versionen dieser Aufnahmen zeigen aber inzwischen trotzdem relativ klar, dass es an den in Frage kommenden Positionen keine Anzeichen für einen weiteren Schützen gibt. Und auch Abraham Zapruder hätte bei seinem Rechtsschwenk der Präsidentenlimousine hinterher nur drei Sekunden länger aufnehmen müssen, um den möglichen Bereich zu erfassen. Selbst wenn sich ein Attentäter tatsächlich auf dieses Himmelfahrtskommando eingelassen hätte, in der wagen Hoffnung, zwar vielleicht aufgenommen aber letztlich nicht identifiziert werden zu können, so hätte es für die möglichen Hintermänner – und diese werden ja als gemeinsamer Nenner in allen Verschwörungstheorien kolportiert – einfach keinen Sinn gemacht, da somit die so mühsam verfolgte Alleintätertheorie von vornherein gestorben wäre.

 
Der "gesunde Menschenverstand"
3. Das Tatgewehr

 
Ein letztes Beispiel ist der Mythos um das Gewehr. Eines ist doch wohl logisch: wenn ich Oswald u.a. mit Hilfe des berühmten "Gewehrfotos", welches einige Monate zuvor im Garten seines Wohnhauses von seiner Frau Marina aufgenommen wurde und Oswald mit dem angeblichen Tatgewehr zeigt, als Täter aufbauen will, muss das richtige Gewehr auch am Tatort zu finden sein. Und das auch dann, wenn ich mal wieder völlig ausblende, dass besagtes Foto im Rahmen gezielter Untersuchungen aus den Jahren 2009 und 2015 mit ziemlicher Sicherheit als unverfälschtes Original identifiziert wurde. (Abgesehen davon hatte man 1963 auch noch gar nicht die technischen Möglichkeiten, eine Fotomontage herzustellen, welche selbst mit heutiger Technik nicht als solche auch zu identifizieren wäre.) Aber nein – allein das kurzzeitige und wohl rein irrtümliche Auftauchen einer falschen Bezeichnung macht für die Verschwörungstheoretiker aus einem billigen Carcano Gewehr aus dem Bestellkatalog eines Versandhauses eine 7.65 Mauser und damit ein deutsches Präzisionsgewehr. Und wofür das? Damit belegt wird, dass Kennedy niemals von Oswald mit besagter Waffe erschossen worden sein kann.

Ich habe an den Fenstern im fünften Stock jenes ehemaligen Schulbuch-Lagerhauses gestanden und hinab auf die Elm Street geblickt. Und ich habe auf den beiden weißen Kreuzen gestanden, welche auf der Straße die beiden Treffer markieren und habe zu besagtem Fenster hinauf geschaut. Und in beiden Fällen ist mir eines schnell aufgefallen: hier bedurfte es einfach keines Präzisionsgewehres, um zwei Treffer zu landen. Nun bin ich natürlich kein geübter Schütze, aber schon besagter "gesunder Menschenverstand", geboren aus den wenigen Erfahrungen beim Besuch eines Kirmes-Schießstandes, reichte hier aus, um sich diese Meinung bilden zu können.

Abgesehen davon haben sowohl bei offiziellen wie inoffiziellen Versuchen gleich mehrere Schützen zum Teil sogar bessere Ergebnisse erzielt, als Oswald. Dies würde wiederum aktuellere Untersuchungen erklären, nach denen der angeblich "schlechte Ruf" besagten Gewehres nicht vorbehaltlos gerechtfertigt ist. Auch das Zeitfenster hat sich durch neueste Untersuchungen auf bis zu elf Sekunden erweitert, da der erste Schuss unter Umständen viel früher abgegeben wurde, als zunächst angenommen.

Und es kommt noch etwas hinzu: vielleicht wusste Oswald selbst nicht, ob es funktioniert. Er hatte die Tat ja eben nicht minutiös geplant, z.B. mit Schussversuchen. Er hat angelegt und gefeuert. Nun kann ich auf ein sehr schweres Ziel hundert Schuss abgeben und keinen einzigen Treffer landen. Es könnte jedoch ebenso passieren, dass direkt mein erster Versuch trifft, und anschließend kein Weiterer. Dann war es ein offenkundiger Glückstreffer. Gebe ich aber keinen weiteren Schuss ab und belasse es bei eben diesem einen Treffer, würde jeder Experte hinterher sagen, dass dies – wenn überhaupt - nur einem geübten Scharfschützen gelingt.

 
Fazit

Auch ich will nicht den Fehler machen, sie durch zu viele Details vom Großen und Ganzen abzulenken. Aber diese Beispiele waren nötig, um ihnen aufzuzeigen, was ich mit den Faktoren "Zeit" und "gesunder Menschenverstand" in diesem Zusammenhang meine.

Doch gehen wir ruhig wieder einen Schritt weiter zurück und schärfen somit unseren Blick auf das Gesamtbild erneut. Dann sollten uns die Unmengen an Publikationen zum Kennedy-Attentat auffallen. Ihre Zahl ist so hoch, dass selbst unter Ausblendung vieler Möchtegern-Autoren und Hobby-Experten immer noch eine stattliche Anzahl übrig bleibt. Haben viele dieser Theorien auch gewisse gemeinsame Nenner, so unterscheiden sie sich doch im Wesentlichen allein schon durch die Präsentation möglicher Motivträger:

-> Die CIA, weil Kennedy diese zerschlagen und "in alle Winde zerstreuen" wollte…

-> Das FBI, weil die Kennedy-Brüder FBI-Chef Hoover gerne absägen und sich nicht länger von ihm erpressen lassen wollten…

-> Das MILITÄR, weil sich Kennedy insbesondere nach der Schweinebucht-Schlappe nicht mehr von ihnen manipulieren ließ und den Abzug der Militärberater aus Vietnam plante…

-> LYNDON B. JOHNSON, weil Kennedy hinter seine schmutzigen Nebengeschäfte gekommen war und er ohnehin lieber selbst Präsident sein wollte…

-> RICHARD M. NIXON, (siehe Lyndon B. Johnson)…

-> Die MAFIA, weil man sich von Kennedy eine Sicherung wirtschaftlicher Interessen insbesondere auf Kuba versprochen hatte und stattdessen plötzlich der Hetzjagd seines Bruders ausgeliefert war…

-> Das Finanzkartell hinter der "Fed", weil Kennedy die Federal Reserve Bank verstaatlichen lassen wollte…

-> FIDEL CASTRO, weil er Kennedy zuvor kommen wollte…

-> Die RUSSEN, wegen Kuba, Berlin und weil es eben die Russen sind…

Diese Liste ließe sich beliebig fortführen. Aktuell umfasst sie über 40 Gruppierungen und über 200 Einzelpersonen! Sie geben mir sicher Recht, wenn mein "gesunder Menschenverstand" daran zweifelt, dass alle diese potentiellen Verdächtigen sich eines Tages gemeinsam an einen runden Tisch gesetzt und beschlossen haben: "Wir bringen jetzt mal den Präsidenten um!". Die Logik lässt also nur den Schluss zu, dass wohl die absolute Mehrheit dieser Verdächtigen unschuldig ist. Und dies überraschenderweise, obwohl es eben zu jeder einzelnen dieser Personen und Gruppierungen eine gleichsam überzeugende Tathergangstheorie gibt. Wenn Kriminalistik so einfach konzipiert wäre, dass es reicht mittels einem entsprechenden Motiv auch gleich den Täter dingfest zu machen, dann müssten wir schnell neue Gefängnisse bauen. Ein Motiv ist immer ein guter Ermittlungsansatz – aber eben auch nicht mehr.

Schaut man sich auf der anderen Seite mal insbesondere jene Varianten näher an, in denen staatliche Einrichtungen bis hin in die Führungsetagen und sogar dem Oval Office als maßgebliche Drahtzieher beschuldigt werden, dann drängt sich mir immer die Frage auf: Wie funktioniert soetwas wohl in der Praxis? Wie frage ich einen Kollegen, einen Untergebenen oder einen Vorgesetzten, ob er Interesse hätte, sich an der Ermordung des Präsidenten zu beteiligen? Und was mache ich, wenn er "nein" sagt? Auf die Gefahr hin, diesen Begriff nunmehr überzustrapazieren, muss ich angesichts der Menge an "Mitwissern", die es nunmal bei der konsequenten Auslegung vieler "Verschwörungstheorien" einfach folgerichtig geben müsste, abermals an den "gesunden Menschenverstand" appellieren.

Doch wer hat denn nun den "heiligen Gral" der Attentatstheorien? Etwa tatsächlich Jim Garrison, oder eher Oliver Stone mit seiner entsprechenden Interpretation. Vielleicht aber auch eher Mark Lane, Bill O’Reilly oder einer der hunderte anderen von Autoren, welche die Gelegenheit für ein paar Extradollar nicht an sich vorbeiziehen lassen wollten. Oder ist es vielleicht sogar einer, den viele so gar nicht auf der Liste haben und dessen Name die Verschwörungstheoretiker meiden wie der Teufel das Weihwasser: Earl Warren ?!
 

Könnte es vielleicht tatsächlich sein, dass die Warren-Kommission mehr durch einen Mangel an Alternativen zum richtigen Schluss gekommen ist - frei nach dem "Sherlock-Holmes-Prinzip": "Wenn man alles Unmögliche ausgeschlossen hat, muss das, was übrig bleibt, die Wahrheit sein, und sei sie noch so unwahrscheinlich!"? Tatsache ist, dass der Warren-Kommission oftmals Unrecht getan wird, wenn man behauptet, sie hätte andere Theorien noch nicht einmal in Betracht gezogen. Sie hat sich in ihrem Bericht durchaus mit "Vermutungen und Gerüchten" sowie mit "offenen Fragen" und "Verschwörungsvermutungen" auseinandergesetzt. Und wenn sie diesbezüglich keine Beweise gefunden hat kann dies in der Tat zwei mögliche Ursachen haben: entweder hat sie tatsächlich schlecht ermittelt oder aber es gibt sie einfach nicht. Letztlich haben alle weiteren Untersuchungen keine wesentlich anderen Ergebnisse erzielt geschweige denn ließen sich wirkliche Gegenbeweise erbringen. Mag es auch Verdachtsmomente geben, welche dafür sprechen, dass es von unterschiedlicher Seite her Versuche der Einflussnahme auf die Ermittlungen der Warren-Kommission gegeben haben könnte, so bedeutet dies jedoch noch lange nicht, dass diese letztlich auch etwas am Ergebnis änderten. Der Umstand, dass das Ermittlungsergebnis mit einem vermeintlichen "Wunschergebnis" konform läuft, kann trotzdem rein auf Tatsachen beruhen und einen glücklichen Zufall darstellen.

Verschleierungen hingegen mag es durchaus gegeben haben. Vieles deutet darauf hin, dass manche undurchschaubaren Verhaltensweisen der beteiligten Geheimdienste oder Regierungsstellen daraus resultieren, dass man einfach nicht zu seinen Unzulänglichkeiten und Nachlässigkeiten stehen wollte. Dies würde auch die Politik der verschlossenen Akten ansatzweise erklären. Denn wer möchte schon zugeben, dass man bei richtiger Arbeitsweise dieses Attentat vielleicht hätte verhindern können. Und dazu gehört natürlich auch, jegliche Vorkenntnisse um die Person Lee Harvey Oswald so weit wie möglich herunter zu spielen. Aber der Weg von einer nachträglichen Verschleierung hin zu einer Verschwörung, welche den Tod des Präsidenten zur unmittelbaren Folge haben soll, ist dann doch noch sehr weit.

Letztlich wird von den Skeptikern immer noch gerne die Frage nach dem "Warum" gestellt. Welches Motiv hatte ein Lee Harvey Oswald für seine Tat? Die Warren-Kommission suchte eine Antwort auf diese Frage in seinem Wesen und beschrieb dabei u.a. seine "[…] Unzufriedenheit mit der Welt um ihn herum [...]". Sie sprach vom "[…] Hass auf die amerikanische Gesellschaft [...]" ganz allgemein und seinem "[…] Handeln voller Protest gegen sie [...]".

Demnach halte ich es für durchaus denkbar, dass eben jenes Handeln weniger konkret zielgerichtet war, als es in den meisten Versionen unterstellt wird. Könnte es nicht vielmehr auch so gewesen sein, dass Oswald in der Kombination aus besagtem Hass auf die Gesellschaft und gleichzeitigem Verlangen nach Aufmerksamkeit zwar in der Tat Schüsse auf die Präsidentenlimousine abgeben wollte, ohne dabei jedoch eine konkrete Person anzuvisieren? Vielleicht war es ihm tatsächlich eigentlich vollkommen egal, ob er jetzt Kennedy, Connally oder eine beliebige andere Person im Fahrzeug trifft. Für ihn war der Effekt des Augenblicks vorrangig. Er wollte das Ereignis selbst treffen und die ihm auf einem Silbertablett präsentierte Gelegenheit nutzen. Somit hätte es bei einer ähnlichen Parade auch jede andere Person treffen können und Kennedy selbst war vielleicht zu keinem Zeitpunkt ein konkretes Ziel. Dazu passen würde auch der Ablauf der Schüsse: der erste Schuss verfehlte sein Ziel und erntete daher auch kaum Aufmerksamkeit. Oswald musste also ein zweites Mal abdrücken. Nun griff sich Kennedy nur mit beiden Händen an die Kehle, während Connally noch in der Rechtsdrehung verharrte. Aus Oswalds Position war in dieser Sekunde immer noch kein größerer Effekt erkennbar. Er konnte sich vielleicht noch nicht einmal sicher sein, überhaupt irgendjemanden oder irgendetwas getroffen zu haben. Also schoss er erneut – und jetzt erst war klar, dass er sein Ziel erreicht hatte … so oder so.

Jeder Profiler würde nun, nachdem uns ja bereits die vielen Tiefpunkte seines verkorksten Lebens bekannt sind, nach dem berühmten finalen Auslöser für eine solche schwerwiegende Tat fragen - nach dem sprichwörtlichen "Funken", oder dem berühmten "Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte". Und da brauchen wir nicht lange zu suchen und nur wenige Stunden zurückgehen. Am Vorabend der Tat musste Oswald bei seinem Gespräch mit Marina entgültig klar geworden sein, dass diese nicht zu ihm zurückkehren würde. Das Zurücklassen seines Eheringes neben seiner noch schlafenden Frau dürfte ein eindeutiger Hinweis darauf sein. Und vielleicht waren jene verhängnisvollen Sekunden auf der Dealey Plaza tatsächlich nur das Ergebnis seiner selbstzerstörerischen Gedankengänge der vorangegangenen schlaflosen Nacht, statt das Produkt eines ausgefeilten Plans zur Ermordung des Präsidenten.

Wir werden es nie abschließend wissen und daher bleibt das halt auch alles nur Theorie. Damit will ich aber auch sagen, dass man nun mal nicht in einen Menschen hineinschauen kann – insbesondere dann nicht, wenn er selbst nicht mehr am Leben ist. Niemand kann mit Sicherheit sagen, was genau in jenen Momenten in Oswald vorging. Warum hatte er z.B. auch nicht die Gelegenheit bereits genutzt, als die Präsidentenlimousine die Houston Street entlang genau auf das Schulbuchlagerhaus zukam. Fürchtete er sich vielleicht kurzzeitig gerade in diesem Moment entdeckt zu werden? Hatte er vielleicht Skrupel, als er durch das Zielfernrohr schaute und den Personen im Fahrzeug direkt ins Gesicht blicken konnte? War er kurz unsicher, ob er es tatsächlich tun wollte und schoss dann doch, bevor sich die Fahrzeuge wieder zu weit von ihm entfernten? All dies wird man nie abschließend beantworten können, wie so viele andere Fragen auch. Dementsprechend kann ich auch immer alle möglichen Versionen in Frage stellen. Dadurch werden jedoch weder die offizielle Version unglaubwürdiger, noch alternative Versionen glaubwürdiger.

Es gibt wohl zwei Gruppen von Menschen: jene, die Angesicht solch tragischer Ereignisse und Zufälle meinen, so ginge es nunmal zu auf der Welt. Das Leben kann sich von einem auf den anderen Moment schlagartig und auf völlig unerwartete Art und Weise verändern. Denn es ist in der Tat oftmals unsicher und zufällig. Oder würden Sie erwarten, dass Sie von einem Auto erfasst werden, wenn Sie gerade über die Straße gehen? Andere Menschen jedoch wollen oder können es nicht so einfach akzeptieren, dass die Ursache für so ein großes und Geschichte schreibendes Ereignis allein in der gestörten Persönlichkeit eines unbedeutenden Individuums wie Lee Harvey Oswald zu suchen sein soll. Diesen Menschen gibt der Gedanke an eine große Verschwörung einen gewissen Trost. Denn dann folgt der Mord wenigsten einem Plan, statt nur eine sinnlose Laune des Schicksals zu sein. Und wenn dann auch noch darüber hinaus das Vertrauen in die eigene Regierung ohnehin nicht gefestigt ist, dann ist es auch nicht mehr schwer, in ihr sogar einen Komplizen zu sehen. Doch die Frage bleibt: wäre es wirklich tröstlicher, wenn es einen zweiten Attentäter gegeben hätte - ohne, dass dieser Spuren seines Gewehres, seiner Kugeln oder seiner eigenen Existenz hinterlassen hätte...?

Das Nachrichtenmagazin "WeLT" schreibt in seiner Onlineausgabe vom 20.10.2015:

"[...] Grundsätzlich gilt wohl, dass der Mord an Kennedy nie zur allgemeinen Zufriedenheit aufgeklärt werden wird. Obwohl sicher kein Anschlag der Weltgeschichte intensiver untersucht wurde. Oder genauer: Gerade weil dieses Attentat so intensiv untersucht wurde wie kein anderes.

Immer wieder in der Weltgeschichte der Kriminalität begegnet einem dieses überraschende Phänomen: Je intensiver ein Verbrechen untersucht wird, desto mehr offene Fragen stellen sich. Das erscheint auf den ersten Blick paradox; in Wirklichkeit handelt es sich um eine rational leicht erklärbare Dialektik.

Erstens lässt sich kein Ereignis im Nachhinein wirklich bis ins kleinste Detail rekonstruieren. So sagte Marina Oswald einmal aus, sie habe die Fotos Ende Februar 1963 gemacht. Bei einer späteren Vernehmung sagte sie, es müsse Anfang April 1963 gewesen sein. Auch von März sprach sie.

Zweitens führen stets Erinnerungslücken oder unwissentlich falsche Aussagen, wichtigtuerische Zeugen oder handwerkliche Mängel bei Ermittlungen zu mitunter hahnebüchenen Fehlern. Wie konnte das Negativ 133-A [Oswald mit Gewehr] verschwinden? Eigentlich unvorstellbar angesichts seiner Bedeutung als Beweis – und doch problemlos durch Schlamperei zu erklären.

Drittens schließlich verlangen Menschen gerade bei spektakulären Kriminalfällen, bei Katastrophen oder eben bei Attentaten "vollständige Aufklärung". Die kann es aber gar nicht geben. Sie akzeptieren keine Erklärung, bei der einzelne Details offen bleiben oder widersprüchlich erscheinen. Dies ist der Boden, auf dem Verschwörungstheorien gedeihen.
[...]"

Daher ist das Kennedy-Attentat auch alles andere als eine historische Ausnahme und findet sich in aller bester Gesellschaft mit dem Untergang der Titanic, dem Angriff auf Pearl Harbor, der Mondlandung, dem Tod von Lady Diana oder 9/11. Und wenn wir ganz nah herangehen, werden wir auch bestimmt in jedem dieser Ereignisse gewisse Ungereimtheiten finden, die der Erklärung bedürfen. Und auch beim Kennedy-Attentat gibt es wohl noch einige offene Fragen, die langfristig vielleicht oder vielleicht auch nicht beantwortet werden können. Leider gilt für viele Verschwörungstheoretiker schon die reine Abwesenheit eines Beweises bei einem bestimmten Vorgang gleich als Beweis für die Richtigkeit der Verschwörungstheorie. Dabei offenbart sich dem Betrachter vieles davon schon, wenn er eben wieder diese zwei, drei Schritte zurück geht und dabei auch noch den "gesunden Menschenverstand" einsetzt. Denn im Prinzip gilt: Jedwedes Ereignis kann, wenn es nicht richtig interpretiert wird, aus Informationsmangel die Entstehung einer Version auslösen, die mit der Wahrheit überhaupt nichts zu tun hat.

Übrigens:

In der stetig wachsenden Anti-Verschwörungstheorie-Gemeinde erzählt man sich gern folgenden Witz:

Zwei Verschwörungstheoretiker sterben und erscheinen vor Gott. Da fragen sie ihn: "Wer hat denn nun Kennedy ermordet?" Gott antwortet: "Lee Harvey Oswald, und er handelte allein." Da dreht sich der eine Theoretiker zum anderen und flüstert: "Mann-oh-Mann! Der ist also auch dabei!" ♦


Persönliche Homepage des
Kennedy-Sammlers

Peter W. Klages