Als Kennedy starb, sangen die Don-Kosaken | Diesen Artikel weiterempfehlen! |
Es war Freitag, traditioneller Ausgehabend, und in den Würzburger Huttensälen gaben die Don-Kosaken ein Konzert. Der Saal war ausverkauft, in den ersten Reihen saßen amerikanische Offiziere, teilweise in Ausgehuniformen, mit ihren Damen. Ich war vom Chef der damaligen Lokalredaktion der Würzburger "Main Post" an diesem 22. November 1963 beauftragt, einen kurzen Text über das Konzert für die Montagsausgabe zu schreiben, und hatte in der vierten Reihe Platz genommen. Die Don-Kosaken, man kannte sie in Würzburg, absolvierten in Stiefeln und Tracht ihr übliches Programm, geleitet von Serge Jaroff, dem drahtigen kleinen Dirigenten.
In der Pause herrschte im Foyer eine sonderbare Unruhe, die mich, weil in freundlicher Begleitung, nicht weiter interessierte. Zurückgekehrt in den Saal war festzustellen, dass die ersten Sitzreihen leer blieben, die amerikanischen Konzertbesucher waren verschwunden.
Erstauntes Gemurmel im Publikum, dann angespanntes Schweigen, als ein Mitglied des Chores vor den Vorhang trat und mit angestrengter Stimme die Nachricht von der Ermordung John F. Kennedys überbrachte. Was über Radio und Fernsehen schon anderthalb Stunden vorher in Wohnzimmern und Gaststätten bekannt geworden war, wusste hier noch niemand.
Es dauerte ein paar Sekunden, bis sich der Schock in erregtes Stimmengewirr löste. Die Konzertbesucher waren voller Entsetzen, manche sprangen auf und fassten sich an den Händen, ein älterer Herr rechts neben mir sank in seinen Sessel. "Das gibt Krieg" stöhnte er. Und als sich dann der rote Samtvorhang vor den Don-Kosaken, die in der üblichen Formation angetreten waren, wieder öffnete, Serge Jaroff einen Schritt vorgetreten war und ins Publikum blickte, hörte man tiefe Atemzüge ringsum.
"Wir ehren unseren ermordeten Präsidenten mit einem Choral", sagte der Dirigent, und drehte sich um zu seinem Chor. 24 Männer, russische Emigranten, die 1934 amerikanische Staatsbürger geworden waren, sangen "Ich bete an die Macht der Liebe".
Ergriffen erhoben sich die Zuschauer. Man sah Tränen, sowohl auf der Bühne als auch beim Publikum, keine Hand rührte sich zum Beifall. Stumm, einer hinter dem anderen, verließen die Sänger das Podium, als letzter ging Serge Jaroff, der mit diesem Choral die Herzen der Zuhörer tief bewegt hatte.
Alles was sich später ereignete, die bis heute immer wieder gezeigten Filmaufnahmen von den Abläufen in Dallas, die Dokumentationen und Spekulationen über den Mord, sind für die Generation, die damals jung war und sich teilweise mit "den Kennedys" identifizierte, nach wie vor voller Interesse. Und die ergreifende Stunde in den Huttensälen an diesem Freitagabend im November des Jahres 1963 ist für mich auf immer damit verbunden.
Im gewaltigen Presseecho der folgenden Tage wurde mein kleiner Artikel kaum beachtete. Die Überschrift lautete "Ein Choral für den ermordeten Präsidenten". ♦