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(New York, 20. September 1963)
Herr Präsident, Herr Generalsekretär, Delegierte der Vereinten Nationen, meine Damen und Herren:
Wir treffen hier erneut in unserem Bemühen um den Frieden zusammen. Vor 24 Monaten, als ich die Ehre hatte, vor diesem Gremium zu sprechen, lag der Schatten der Furcht düster über der Welt. Die Freiheit Westberlins war in unmittelbarer Gefahr. Ein Abkommen über ein neutrales Laos schien weit entfernt. Das Mandat der UN im Kongo wurde angegriffen. Die finanzielle Zukunft der Weltorganisation war in Frage gestellt. Dag Hammaskjöld war tot, zur Besetzung seines Postens wurde die Troika-Doktrin aufgestellt, und die Kernwaffenversuche in der Atmosphäre waren soeben von der Sowjetunion wieder aufgenommen worden.
Heute haben sich die Wolken etwas gelichtet, so dass neue Hoffnungsstrahlen durchbrechen können. Der Druck auf Westberlin scheint vorübergehend nachgelassen zu haben. Die politische Einheit im Kongo ist weitgehend wiederhergestellt. In Laos besteht zumindest eine neutrale Koalition – auch wenn sie noch Schwierigkeiten hat. Die Integrität des UNO-Sekretariats wurde erneut gefestigt. Die Vereinten Nationen haben ein Jahrzehnt der wirtschaftlichen Entwicklung in Angriff genommen, und schliesslich wurde zum ersten Mal nach 17 Jahre langen Bemühungen ein Schritt unternommen, um das atomare Wettrüsten zu begrenzen.
Ich meine damit den Vertrag über das Verbot von Kernwaffenversuche in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser, der zwischen der Sowjetunion, Grossbritannien und den Vereinigten Staaten abgeschlossen und inzwischen bereits von fast hundert Staaten unterzeichnet wurde.
Heute mögen wie eine Pause im Kalten Krieg erreicht haben, aber das ist noch kein dauerhafter Frieden. Ein Versuchsstoppvertrag ist ein Meilenstein, aber damit ist noch kein Goldenes Zeitalter angebrochen. Wir sind keineswegs aus unseren Verpflichtungen entlassen, sondern haben nur eine Chance erhalten. Und wenn wir diesen Moment und Schwung nicht voll zu nutzen verstehen, sondern unsere neu gewonnenen Hoffnungen und Einsichten in neuen Mauern und Waffen der Feindschaft umwandeln lassen – wenn diese Pause des Kalten Krieges lediglich zu seiner Erneuerung statt zu seiner Beendigung führt -, dann wird die Nachwelt zu Recht in vorwurfsvoller Anklage mit Fingern auf uns alle zeigen. Wenn wir aber diese Pause zu einer Periode fruchtbarer Zusammenarbeit auszudehnen vermögen, wenn beide Seiten jetzt neues Vertrauen und echte Erfahrung im konkreten Zusammenwirken für den Frieden gewinnen, wenn wir jetzt imstande sind, die Kontrolle der tödlichen Waffen ebenso kühn und weit blickend zu betreiben wie vorher ihre Herstellung, dann kann dieser erste kleine Schritt sicherlich zum Beginn einer langen und fruchtbringenden Reise werden.
Die Aufgabe, den Frieden zu schaffen, ist den Führern aller Nationen, der grossen wie der kleinen, gestellt, denn die Grossmächte besitzen kein Monopol auf Konflikte und Ambitionen. Der Kalte Krieg ist nicht die einzige Ausdrucksform der Spannungen in der ganzen Welt, und das nukleare Wettrüsten ist nicht der einzige Rüstungswettlauf. Auch kleine Kriege sind gefährlich in einer nuklear bewaffneten Welt. Die mühselige Arbeit für den Frieden ist eine Aufgabe für alle Nationen, und bei dieser Anstrengung kann sich keiner von uns abseits halten.
Die Verminderung der weltweiten Spannungen darf nicht als Vorwand für die engstirnige Verfolgung selbstsüchtiger Interessen benutzt werden. Wenn die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten trotz all ihren globalen Interessengegensätzen und ideologisch bedingten Auseinandersetzungen mit immer noch gegeneinander gerichteten Kernwaffen imstande sind, ein Gebiet der gemeinsamen Interessen und des Einvernehmens zu finden, dann sollten dies andere Nationen sicherlich auch können – Nationen, die von regionalen Konflikten, Rassenkämpfen oder von den Todeszuckungen des alten Kolonialismus in Atem gehalten werden.
Tatsache ist, dass die Vereinigten Staaten als eine der grossen Atommächte eine besondere Verantwortung tragen. Es handelt sich faktisch um eine dreifache Verantwortung: Eine Verantwortung gegenüber unseren eigenen Mitbürgern, eine Verantwortung gegenüber Menschen in aller Welt, die von unseren Entscheidungen betroffen werden und eine Verantwortung gegenüber der kommenden Generation der Menschheit. Wir glauben, dass auch die Sowjetunion diese besondere, dreifache Verantwortung trägt und dass diese Verantwortung unsere beiden Länder verpflichtet, das Hauptaugenmerk weniger auf unsere Differenzen und mehr auf die Mittel zu ihrer friedlichen Beilegung zu richten.
Unsere Konflikte sind realer Natur. Unsere Idealvorstellungen von der Welt sind verschieden. Wir würden niemandem einen Dienst erweisen, wenn wir es versäumen, unsere Meinungsverschiedenheit klar zuzugeben. Eine der zentralen Meinungsverschiedenheiten erwächst aus dem Glauben des amerikanischen Volkes, dass es den Menschen in Deutschland und Berlin freigestellt sein muss, ihre Hauptstadt und ihr Land wieder zu vereinigen. Wir glauben, dass es den Menschen in Kuba freigestellt sein muss, die Früchte der Revolution einzubringen, die so betrügerisch von innen verraten und von aussen ausgebeutet wurde.
Um es kurz zu sagen, wir glauben, dass es den Menschen in der ganzen Welt – in Osteuropa ebenso wie in Westeuropa, in Südafrika ebenso wie in Nordafrika, in den alten Staaten ebenso wie in den jungen – freigestellt werden muss, über ihre eigene Zukunft zu bestimmen, ohne Diskriminierung oder Diktat und ohne Zwang oder Subversion.
Ich möchte aber den führenden Männern der Sowjetunion und ihrem Volke zurufen, dass wir, wenn unsere beiden Länder ihre Sicherheit gewährleistet sehen wollen, einer weit besseren Waffe bedürfen als der Wasserstoffbombe, einer besseren Waffe als Raketen oder Atom-U-Boote. Jene bessere Waffe ist eine friedliche Zusammenarbeit.
Wir haben uns auf einen Vertrag über die beschränkte Einstellung der Kernwaffenversuche geeinigt, auf eine Nachrichtenverbindung zwischen unseren Hauptstädten für den Dringlichkeitsfall, auf eine Grundsatzerklärung bezüglich der Abrüstung, auf eine Erweiterung des Kulturaustausches, auf eine Zusammenarbeit im Weltraum, auf die friedliche Erforschung der Antarktis und auf eine Entschärfung der Kubakrise des vergangenen Jahres.
Darum glaube ich, dass die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten zusammen mit ihren Verbündeten weitere Abkommen erreichen können – Abkommen, die unserem gemeinsamen Interesse entspringen, die gegenseitige Vernichtung verhindern.
Über die Reihenfolge weiterer Schritte kann es keinerlei Zweifel geben. Wir müssen weiterhin nach einem Übereinkommen über Massnahmen zur Verhinderung eines Krieges durch Zufall und Fehleinschätzung trachten. Wir müssen weiterhin ein Übereinkommen über Massnahmen zur Sicherung gegen einen Überraschungsangriff anstreben, wozu die Einrichtung von Beobachtungsposten an Schlüsselpunkten gehört. Wir müssen uns weiterhin um ein Abkommen über die Einschränkung des nuklearen Wettrüstens durch eine Kontrolle der Herstellung von Kernwaffen, eine Umwandlung spaltbaren Materials für friedliche Zwecke sowie ein Verbot unterirdischer Versuche mit angemessenen Inspektionen und Einhaltungsgarantien bemühen. Wir müssen uns weiterhin um ein Übereinkommen über einen freien Informations- und Personenaustausch von Ost nach West und von West nach Ost bemühen.
Wir müssen, ermutigt durch die gestrige positive Antwort des sowjetischen Aussenministers auf diesen Vorschlag, weiterhin eine Übereinkunft über ein Abkommen suchen, durch das Massenvernichtungswaffen aus dem Weltraum verbannt werden.
Lassen Sie uns auf diese und andere Weise den steilen und schwierigen Pfad zu einer umfassenden Abrüstung beschreiten, das gegenseitige Vertrauen durch gegenseitige Verifizierung festigen und die Institutionen des Friedens schaffen, während wir gleichzeitig unsere Kriegsmaschinen demontieren. Wir dürfen nicht deswegen, weil etwa nicht in allen Punkten eine Übereinstimmung erzielt werden kann, eine Übereinkunft dort hinausschieben, wo ein Übereinkommen möglich ist. Und wir dürfen Vorschläge nicht einfach nur aus propagandistischen Gründen unterbreiten.
Schliesslich gibt es auf einem Gebiet, auf dem die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion eine führende Stellung einnehmen – dem Gebiet der Raumfahrt – Ansatzpunkte genug für eine neue Zusammenarbeit, für weitere gemeinsame Anstrengungen bei der Ausarbeitung eines Weltraumrechts und der Erforschung des Weltraumes. Zu diesen Möglichkeiten gehört auch eine gemeinsame Expedition zum Mond. Der Weltraum bietet keine Souveränitätsprobleme. In einer Resolution dieser Versammlung haben die Mitglieder der Vereinten Nationen auf jegliche territorialen Rechtsansprüche im Weltraum oder an Himmelskörpern verzichtet und erklärt, dass das Völkerrecht und die Charta der Vereinten Nationen gültig sein soll. Warum sollte daher der erste Flug des Menschen zum Mond die Angelegenheit eines nationalen Wettstreits sein? Warum sollten sich die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion bei der Vorbereitung solcher Expeditionen auf immense Doppelarbeit auf dem Gebiet der Forschung, der Konstruktion und der Ausgaben einlassen? Wir sollten prüfen, ob die Wissenschafter und Astronauten unserer beiden Länder – ja der ganzen Welt – bei der Eroberung des Weltraums nicht zusammenarbeiten können, um eines Tages in diesem Jahrzehnt einen Vertreter nicht einer einzigen Nation, sondern die Vertreter der gesamten Menschheit zum Mond zu schicken.
Der Wettstreit wird weitergehen – der Wettstreit zwischen Menschen, denen eine monolithische Welt vorschwebt und denen, die an die Mannigfaltigkeit glauben. Aber es sollte ein Wettstreit um die Führung und nicht um die Vernichtung, ein Wettstreit der Leistung und nicht der Einschüchterung sein. Im Namen der Vereinigten Staaten von Amerika begrüsse ich einen solchen Wettstreit; denn wir glauben, dass die Wahrheit stärker ist als der Irrtum und die Freiheit dauerhafter als der Zwang. Und im Wettstreit um ein besseres Leben wird die gesamte Welt der Sieger sein.
Das Bemühen um die Verbesserung des Loses der Menschen aber ist nicht die Aufgabe einiger Weniger. Es ist die Aufgabe aller Völker, ob sie nun für sich allein, in Gruppen oder im Rahmen der Vereinten Nationen handeln. Pest und Seuchen, Naturkatastrophen und der Hunger sind Feinde eines jeden Volkes. Land und Meer und Luftraum – sie gehen heute alle Völker an. Wissenschaft, Technik und Bildung können Verbündete eines jeden Volkes sein.
Nie zuvor besaß der Mensch in so hohem Masse die Fähigkeit, seine Umwelt zu ordnen, Hunger und Durst zu beenden, Armut und Krankheit zu besiegen, das Analphabetentum zu beseitigen und das grosse menschliche Leid zu bannen. Es steht in unserer Macht, diese Generation zur tüchtigsten der Menschheitsgeschichte zu machen – oder zu ihrer letzten. ♦